Das Bernsteinzimmer
Bergkristall und Edelsteinen hergestellten Kronleuchter in den Prunksälen. Nichts bleibt hier. Mein lieber General, ich weiß genau, welch ungeheure Schätze noch im Katharinen-Palast lagern. Nicht einmal Dr. Runnefeldt weiß das, und das beruhigt. Drei oder vier der ältesten und besten Ikonen werden einmal in meinem Arbeitszimmer hängen … und ich werde mich noch nicht einmal schämen.
Er wurde aus seinen angenehmen Gedanken aufgeschreckt, als er von Haldenberge sagen hörte: »Eine Ordonnanz wird Sie zu Herrn Wachter bringen.«
»Wer ist Wachter?« fragte Dr. Runnefeldt erstaunt.
»Ein Spinner.« Dr. Wollters winkte lässig ab. »Er wartet das Bernsteinzimmer … seit über 200 Jahren, wie er sagt. Familientradition. Benimmt sich, als sei er der Besitzer. Auf ihn können wir verzichten.«
»Ich möchte ihn trotzdem kennenlernen.« Dr. Runnefeldt erhob sich und drückte seine Zigarette in einem vergoldeten Aschenbecher aus. Er gehörte einmal dem Zaren Alexander II. »Vielleicht kann er uns Ratschläge geben?«
»Ratschläge? Ein Museumsdiener, ein Lakai –« sagte Wollters hochmütig.
»Ich bin für jeden Ratschlag dankbar. Ein Museumsdiener weiß manchmal besser Bescheid über die ihm anvertrauten Kunstschätze als ein Museumsdirektor. Ich hatte mal einen Saalwächter, der hat sogar eine Fälschung entdeckt. Wir großen Experten hielten es für echt und hätten jede Expertise unterschrieben.«
Sie grüßten stramm, von Haldenberge tippte kurz an seine Stirn, was einen Gruß bedeuten konnte oder auch etwas anderes, auf jeden Fall war es doppeldeutig. Dann standen sie draußen, warteten auf den Ordonnanzoffizier und schwiegen sich an.
Im Bernsteinzimmer stand nur ein älterer Mann, als sie die Tür öffneten. Der Offizier drehte sich wortlos um und ließ sie allein. Dr. Runnefeldt streckte seine Hand aus, Dr. Wollters ging provokativ an die freigelegte Bernsteintafel und betrachtete sie. Dabei pfiff er leise vor sich hin: »So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage …«
»Sie sind Herr Wachter, nicht wahr?« sagte Dr. Runnefeldt freundlich. »Der Herr General hat uns von Ihnen erzählt. Sie gehören zum Bernsteinzimmer?«
»So ist es.« Wachter nickte und wunderte sich. »Sie sind Dr. Runnefeldt …«
»Ja.«
»Von der SS?«
»Nein. Wieso? Ach deshalb!« Er sah an seiner Uniform hinunter. »Ich bin der Leiter des Außenamtes der Staatlichen Museen von Berlin. Der Führer hat mir einen Sonderauftrag erteilt. Ich bin kein Soldat und kein Offizier und kann daher den Ehrenrock nicht tragen. Da hat man mir den SS-Habitus verliehen und mich zum Sonderführer gemacht.« Dr. Runnefeldt hob die Schultern. »Uniform muß eben sein.«
Dr. Wollters pfiff lauter. Unerhört, maulte er in Gedanken. Diese Kumpelhaftigkeit mit einem niedrigen Angestellten. Und so etwas setzt man mir, einem Rittmeister, vor die Nase! Überhaupt dieser Wachter! Hat man ihn überprüft? Wer hat ihn überprüft? Wo ist die Personalakte? Der kann ja Wunder was erzählen, die Wolken vom Himmel lügen, und ist in Wirklichkeit ein sowjetischer Agent! 225 Jahre im Dienste der Russen … das ist doch mehr als ungewöhnlich! Und will nie in den Jahrhunderten ein Russe geworden sein? Wer glaubt das denn? Wenn von dem Burschen keine Personalakte besteht, werden wir ihm eine verpassen lassen und seine Vergangenheit aufrollen! Vielleicht quellen uns dann die Augen über, was für ein Bürschchen das ist.
»Sie wollen also das Bernsteinzimmer ausbauen und mitnehmen?« fragte Wachter. Er war nun doch ein wenig beruhigt, daß es nicht die SS war, die das Zimmer als Siegesbeute beschlagnahmte und es damit für alle Zeit verschwinden lassen würde.
»Ja«, antwortete Dr. Runnefeldt. »Morgen geht's los. Wir werden das Zimmer ganz vorsichtig in die einzelnen Wandtafeln zerlegen, gut in speziell dafür anzufertigende Kisten verpacken und wegbringen. Wir sollen dafür achtzehn Lkws bekommen.« Dr. Runnefeldt starrte auf den Rücken Dr. Wollters, der noch immer pfiff. Jetzt war es der Paradiermarsch. »Helfen Sie uns dabei, Herr Wachter?« fragte er betont laut.
»Wenn ich darf –«
»Wenn jemand das Bernsteinzimmer kennt wie sich selbst, dann sind Sie es.«
»Die wenigsten kennen sich selbst, Herr Doktor.«
»Da haben Sie recht. Viele sind sich selbst gegenüber blind.« Das war auf Dr. Wollters abgeschossen. Er verstand es sofort richtig und preßte die Lippen zusammen. Sein Pfeifen verendete in einem Zischlaut.
»Und wohin … wohin
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