Das Bernsteinzimmer
dich, Vroni«, sagte er zu dem drallen Mädchen, beugte sich über sie, küßte sie und strich dabei über ihre Brüste. »Machen wir's uns gemütlich. Es wird sonst eine langweilige Nacht werden.«
Und Schwester Vroni knöpfte ihren Kittel auf …
Gegen zehn Uhr am Vormittag betrat Jana Petrowna das Museum im Königsberger Schloß. Sie kaufte eine Karte, wagte aber nicht, zu fragen, wo man das Bernsteinzimmer aufstellen wollte. Niemand außer ein paar Eingeweihten wußten von der Ankunft des Schatzes. Es war anzunehmen, daß die Kartenverkäuferin überhaupt keine Ahnung hatte.
Um nicht aufzufallen, ging Jana von Saal zu Saal, blieb vor einigen Gemälden stehen, stieg hinauf in den ersten Stock und sah nirgendwo einen leeren Saal oder eine Betriebsamkeit, die auf ein Auspacken des Bernsteinzimmers hinwies. Erst als sie in den zweiten Stock gehen wollte, versperrte ein dickes Seil die Treppe. Ein Schild hing an dem Seil: Gesperrt. Und auf der Treppe auf einem Ständer las sie: Bis auf weiteres kein Zutritt.
Jana blieb stehen und hob lauschend den Kopf. Da oben also, dachte sie. Da muß Väterchen sein. Was wird er sagen, wenn ich plötzlich vor ihm stehe? Sie hörte entferntes Hämmern, ein paar Stimmfetzen mischten sich dazwischen, irgend etwas schleifte über den Boden, dann eine deutliche Stimme: »Karl, pack mal mit an! Vorsichtig, du Knallkopf! Und jetzt: Hebt hoch!«
Jana Petrowna hob das Seil an, ging gebückt darunter her und stieg die Treppe hinauf. Um die Ecke des breiten Flurs hörte sie nun deutlicher das Hämmern. Zwei Männer bogen von einem Seitengang ein und blieben beim Anblick der Rote-Kreuz-Schwester stehen.
»Wo soll's denn hingehen, Schwester?« fragte einer von ihnen. »Hier ist im Moment nichts zu sehen.«
»Ist denn das Schild unten weg?« fragte der andere.
»Ich bin dienstlich hier. Im Krankenhaus wurde angerufen. Ich weiß nicht, was los ist.«
»Wird sich einer an den Mistkisten den Daumen gequetscht haben«, sagte der eine fröhlich.
»Hoffentlich nicht was anderes«, lachte der andere. Er winkte den Seitenflur entlang. »Freie Fahrt, Schwester. Und nehmen Sie ihn vorsichtig in die Hand …«
Laut lachend verschwanden sie in einem Zimmer. Jana zögerte einen Moment, dann preßte sie die Lippen zusammen und ging weiter. Vor einer breiten Tür, über der die Nummer siebenundzwanzig stand, blieb sie stehen. Hinter der Tür erklang laut das Stakkato des Hämmerns und vielfaches Stimmengewirr. Sie nahm allen Mut zusammen, drückte die Tür auf und betrat einen großen, leeren Saal.
Auf dem Parkettboden war eine der Wandtafeln des Bernsteinzimmers zusammengelegt worden, zwei Männer in Offiziersuniform studierten einen Bernsteinengel, den einer von ihnen in beiden Händen hielt, drei Männer an der hinteren, kahlen Wand schlugen Haken in die Mauer, ein vierter, mit einem Plan in der Hand, zeichnete mit einem dicken Stift neue Bohrlöcher an.
Und vor der auf dem Boden liegenden Wandtafel kniete Michael Wachter und untersuchte mit einer großen runden Handlupe das Mosaik aus geschliffenem, funkelndem Bernstein.
Der erste, der Jana Petrowna bemerkte, war Dr. Runnefeldt. Er blickte von dem Bernsteinengel hoch und sah sie an. Verblüffung lag in seinem Blick. Dr. Findling bemerkte es und drehte sich um. Auch ihm sah man das Erstaunen an.
»Sie haben sich verlaufen, Schwester«, sagte Dr. Runnefeldt höflich.
»Ich weiß nicht. Jemand hat im Krankenhaus angerufen, hier soll es einen kleinen Unfall gegeben haben.« Ihre Geistesgegenwart war hervorragend. Sie sah dabei hinunter auf die Wandtafel, vor der Wachter kniete.
Ich bin da, Väterchen! Mach dir keine Sorgen mehr um mich. Gut geht es mir. Schon bei den ersten Worten hatte es Wachter durchzuckt, er wollte herumfahren, aufspringen, aber dann siegte der Verstand, er blieb auf den Knien und schob nur seine Schultern hoch. Jana, das ist Janaschka … ihre Stimme ist es, keine zweite hat eine solche Stimme, eine solche Betonung der deutschen Sprache. Sie ist es, sie ist es … Jana ist nach Königsberg gekommen.
Langsam, was ihm viel Mühe und Selbstbeherrschung kostete, drehte auch er sich um, und als er Jana anblickte, mußte er sich zusammenreißen, um nicht die Arme auszubreiten.
Mein Töchterchen, dachte er. O Gott, mein Töchterchen. Wir sind wieder zusammen! Wie geht es dir? Wo bist du untergeschlüpft? Woher weißt du, daß ich im Schloß bin?
Er erhob sich von den Knien, klopfte den Staub von seinen Hosenbeinen und legte
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