Das Beste aus 40 Jahren
jede Wende in dieser privaten Tragödie auszuschlachten versuchten. Man durfte ihnen nicht auch noch Informationen für die Skandal- und Klatschspalten zukommen lassen!
Wieso muss es ausgerechnet Anastasia sein, die Chiara womöglich helfen kann? überlegte Rico. Es war ein grausamer Scherz des Schicksals!
Er hatte erwartet, sie nie mehr wiedersehen zu müssen. Seit Monaten arbeitete ein Stab von Rechtsanwälten an den Bedingungen für die Scheidung. Eine faire Scheidung. Er würde Anastasia großzügig abfinden und konnte sich dann mit ruhigem Gewissen einer anderen Frau zuwenden. Diesmal würde er eine nachgiebige, sanfte Italienerin heiraten – die wusste, worauf es einem traditionell erzogenen sizilianischen Ehemann ankam.
Keine temperamentvolle englische Rothaarige voll Feuer und Leidenschaft, für die der Begriff „Nachgiebigkeit“ ein Fremdwort war.
Scharf atmete er ein, als die Erinnerung an Anastasia – seine ungestüme, schöne Ehefrau – in ihm ungezügeltes Begehren weckte. Seit einem Jahr lebten sie nun getrennt, und es war alles andere als eine freundschaftliche Trennung gewesen. Trotzdem sehnte er sich noch immer leidenschaftlich nach seiner Frau. Er traute sich nicht zu, ein Wiedersehen mit ihr gänzlich ungerührt zu verkraften.
Anastasia beeinträchtigte seine Urteilskraft mehr, als ihm lieb war. Mehr, als er sich eingestehen wollte. Sie war wie eine Droge. Trotz allem, was sie ihm angetan hatte, war er noch immer süchtig nach ihr. Deshalb wäre es nicht ratsam, ihr wieder zu begegnen.
Obwohl er inzwischen gelernt hatte, sie zu hassen.
Obwohl er nun wusste, was für ein Fehler es gewesen war, sich mit ihr einzulassen.
Rico ging wieder zum Fenster und betrachtete seine Schwester schweigend, wobei er überlegte, welche Möglichkeiten ihm offenstanden. Es waren deprimierend wenige. Wenn er davon ausging, dass seine Wünsche und Bedürfnisse im Moment zweitrangig waren verglichen mit Chiaras Genesung, blieb nur ein Schluss übrig: Er musste, so schwer es ihm fiel, ein Wiedersehen mit Anastasia in Kauf nehmen.
Es ändert natürlich nichts an der bevorstehenden Scheidung, sagte er sich schnell. Nein, es bedeutete nur eine kurze Einstellung der Kampfhandlungen in diesem „Rosenkrieg“. Er würde Anastasia nach Sizilien einfliegen lassen, sie würde tun, was immer nötig war, und dann schickte er sie wieder nach Hause.
Bestimmt würden sie nicht mehr als nur die nötigsten Worte wechseln … was ihm recht war. Er wollte sich nicht an Vergangenes erinnern und schon gar nicht Zeit mit der Frau verbringen, die bald seine Exfrau sein würde.
Die Brisanz der Situation wird Anastasia nicht entgehen, dachte Rico und lächelte grimmig. Seine blendend schöne, unkonventionelle Anastasia … Sie hatte nie dem Bild entsprochen, das seine Mutter sich von der idealen Frau für ihn gemacht hatte.
Oder er selbst.
Er hatte ihr alles gegeben. Hatte alles getan, was man von einem Ehemann erwartete. Doch das war, wie es schien, nicht genug gewesen.
Der Chefarzt räusperte sich diskret. Er hatte lang genug auf die Antwort warten müssen.
Rico traf die einzig mögliche Entscheidung. „Ich werde dafür sorgen, dass Anastasia herkommt“, versicherte er und wandte sich an Gio, seinen Sicherheitschef. „Ruf sie an, und sag ihr, sie soll sich bereithalten. Dann sorge dafür, dass das Flugzeug sofort startklar gemacht wird.“
Seine Mutter stöhnte schockiert auf. Gio, ein Freund aus den Kindertagen, sah ihn überrascht an.
Rico fand sich indessen damit ab, dass er etwas tun musste, was nicht zu tun er sich geschworen hatte: Anastasia wiederzusehen.
Eines Tages werde ich sie vergessen haben, sagte er sich. Zumindest würde er an sie denken können, ohne sofort heißes Verlangen zu spüren. Und je eher dieser Tag kam, desto besser.
Anastasia führte noch einige Pinselstriche aus, dann trat sie zurück und betrachtete das Bild mit zusammengekniffenen Augen kritisch. Schließlich nickte sie zufrieden.
Ihr neuestes Werk war fertig. Endlich.
Auch Mark wird sich freuen, dachte sie und reinigte die Pinsel. Danach verließ sie ihr Atelier und ging in die Küche, wo sie den Kessel aufsetzte. Während sie darauf wartete, dass das Wasser zu kochen begann, sortierte sie ihre Post, um die sie sich in den vergangenen vierzehn Tagen so gut wie nicht gekümmert hatte, weil sie ganz aufs Malen konzentriert gewesen war.
Außerdem schaltete sie ihr Handy wieder ein, das beinah augenblicklich zu klingeln begann. Es
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