Das Beste aus 40 Jahren
konnte nur ihre Mutter sein, die sie zu erreichen versuchte.
Anastasia lächelte und meldete sich. „Hallo, Mum! Wie laufen die Geschäfte?“
„Bestens!“ Ihre Mutter klang begeistert.
Und selbstsicher. Nicht mehr verschreckt und eingeschüchtert wie sechs Jahre zuvor, als ihr Mann sie unvermittelt verlassen hatte. Wegen einer Blondine, die nur halb so alt war wie er.
An diese schreckliche Zeit wollte Anastasia sich nicht länger erinnern. Sie hatte damals ihr erstes Jahr auf der Kunstakademie absolviert, und das Schicksal ihrer Mutter hatte ihr eins bewiesen – wenn es dieses Beweises überhaupt bedurft hätte: Es war nicht gut, von einem Mann abhängig zu sein. Ihre Mutter hatte sich in allem stets auf ihren Mann verlassen und war dann gleich im doppelten Sinn völlig verlassen gewesen, als er sie sitzen ließ. Daraufhin hatte sie jedes Selbstvertrauen verloren.
Schließlich hatte Anastasia ihre Mutter ermutigt, sie solle ihr fundiertes Wissen über Antiquitäten nutzen und einen kleinen Laden eröffnen. Nach und nach sprach sich herum, dass Mrs Silver Antiquitäten nicht nur verkaufte, sondern ihre Kunden auch bezüglich der Einrichtung ihrer Häuser beriet. Ihr Geschäft ging von Jahr zu Jahr besser, und sechs Monate zuvor hatte sie es dank eines großzügigen Kredits der Bank wesentlich ausbauen können.
„Allerdings sollte ich so bald wie möglich mehr Personal einstellen“, berichtete Mrs Silver weiter. „Ich muss zu der Kunst- und Antiquitätenmesse fahren, anschließend bin ich in ein Herrenhaus in Yorkshire eingeladen. Den Laden kann ich solange nicht einfach schließen. Mittlerweile kommen Leute aus ganz England zu mir. Es wäre ihnen gegenüber unfair, wenn sie plötzlich vor verschlossener Tür stehen müssten. Und du bist ja zu intensiv mit Malen beschäftigt, um aushelfen zu können.“
Wieder lächelte Anastasia, erfreut darüber, wie lebhaft ihre Mutter klang. „Du wirst den Laden schon schmeißen, Mum! Stell ruhig so viel Personal ein, wie du brauchst.“ Sie warf einen Stapel Reklame in den Papierkorb. „Das Bild ist übrigens fertig – seit wenigen Minuten. Mark kann es jederzeit abholen.“
„Wunderbar! Ich werde es ihm ausrichten, falls ich ihn eher sehe als du. Und wie geht es dir, Liebes? Isst du auch genug?“
„Ja, sicher.“ Das war eine Lüge. Im vergangenen Jahr hatte Anastasia überhaupt nicht viel gegessen. Seit sie aus Italien zurückgekommen war, lag ihr nichts mehr am Essen. Doch das brauchte ihre Mutter nicht zu wissen, weil sie sich sonst nur Sorgen machen würde. „Mir geht es glänzend, Mum. Ehrlich.“
Mrs Silver ließ sich nicht täuschen. „Du weinst noch immer diesem Sizilianer nach, stimmt’s?“ Sie seufzte. „Glaub mir, mein Kind, Männer wie er ändern sich nicht. Ich weiß es. Immerhin habe ich jahrelang mit deinem Vater zusammengelebt, und er war derselbe Typ. Ich war für ihn nur ein Spielzeug, und als ich ihm langweilig wurde, hat er sich ein neues beschafft.“
Anastasia hörte, wie sich ein Auto über die Zufahrt voller Schlaglöcher zu ihrem kleinen Haus quälte. Es war ein guter Vorwand, das Gespräch zu beenden.
„Tut mir leid, Mum, ich muss jetzt Schluss machen, weil ich unerwarteten Besuch bekomme. Wahrscheinlich Mark, der sich erkundigen will, wie weit das Bild gediehen ist. Ich ruf dich später noch mal an, okay?“
Ohne ihrer Mutter Zeit zum Protestieren zu lassen, schaltete sie das Handy aus und seufzte tief. Sie liebte ihre Mutter, doch nicht einmal mit ihr würde sie über ihre Beziehung zu Rico sprechen.
Das Auto blieb vor der Tür stehen. Anastasia schnitt ein Gesicht. Sie hatte keine große Lust, sich mit Mark zu befassen. Er machte keinen Hehl daraus, dass er mehr von ihr wollte als ihre Bilder, aber sie war noch nicht bereit für eine neue Beziehung.
Vielleicht würde sie es nie mehr sein …
Reuevoll lächelnd blickte sie auf ihre mit Ölfarben bekleckste Jeans. Mit ihr war im Moment kein großer Staat zu machen, aber wenn Mark einfach vorbeikam, ohne sich vorher telefonisch anzumelden, durfte er nichts Besseres erwarten.
Bevor er klopfen konnte, öffnete sie die Tür. Und erstarrte vor Schreck.
Draußen stand Rico Crisanti.
Der Milliardär. Der Mistkerl .
Der letzte Mensch auf der ganzen weiten Welt, den zu sehen sie erwartet hätte.
Ihr Herz schien einen, nein, mehrere Schläge lang auszusetzen. Ihr wurde schwindlig. Einen winzigen, herrlichen Augenblick lang glaubte Anastasia, Rico wäre endlich
Weitere Kostenlose Bücher