Das Beste aus 40 Jahren
und er wirkte angespannt, während er sich durchs Haar fuhr. „Es wird spät. Du brauchst auch Ruhe, Anastasia.“
„Ich möchte aber lieber bleiben“, erwiderte sie. Wenn die Chance bestand, dass ihre Anwesenheit Chiara half, würde sie die nicht ungenutzt lassen.
„Du siehst mitgenommen aus.“ Er sagte es so unwillig, als hätte er Angst, sie könnte seine höfliche Rücksichtnahme mit einem tieferen Gefühl verwechseln.
Er hätte sich deswegen keine Sorgen zu machen brauchen, denn sie wusste, was er von ihr hielt! Dass sie trotzdem hier war, bewies nur, wie sehr er seine Schwester liebte.
Für mich empfindet er nichts mehr – nur noch Verachtung, dachte Anastasia traurig, und die Kehle war ihr plötzlich wie zugeschnürt.
„Ja, es war ein arbeitsreicher und stressiger Tag für mich“, stimmte sie leise zu und merkte erst jetzt, wie erschöpft sie war. Morgens hatte sie noch an ihrem Bild gearbeitet und versucht, so manches zu vergessen …
„Du hast dich nicht geändert“, warf Rico ihr vor. „Noch immer bist du von deiner Malerei wie besessen. Ist dir klar, dass du Chiara praktisch von nichts anderem erzählt hast als von deiner Arbeit?“
„Darüber musst ausgerechnet du dich beklagen, Rico!“, warf sie spöttisch ein.
„Und du redest noch immer zu viel!“, fügte er schroff hinzu.
Deswegen hatte er sie früher gern geneckt, jetzt schien es ihn nur zu reizen. „Du wolltest doch, dass ich mit Chiara plaudere, oder?“
Er ging ans Fußende des Bettes, wahrscheinlich um Abstand zu schaffen. „Ja, sicher. Aber genug ist genug. Für euch beide. Heute war ein schwerer Tag für uns alle.“ Kurz sah er ihr in die Augen, und sein Blick verriet, wie schwer die vergangenen Stunden auch für ihn gewesen waren. „Ich lasse dich jetzt nach Hause fahren.“
Fahren? Dann meinte er natürlich sein Zuhause. Das früher auch ihres gewesen war …
„Es ist nicht mehr mein Zuhause“, wehrte Anastasia gequält ab.
Rico nahe zu sein zerriss ihr beinah das Herz. Am liebsten hätte sie ihn so lange geschüttelt, bis er sie um Verzeihung anflehte, weil er ihre Beziehung einfach aufgegeben hatte. Ohne den geringsten Versuch, etwas zu retten.
Er funkelte sie kurz an und ballte die Hände zu Fäusten. „Ich sag es dir jetzt zum letzten Mal, Anastasia: Wir sind noch immer verheiratet.“
Ja, aber wir haben eine völlig verschiedene Vorstellung von dem, was eine Ehe bedeutet, erwiderte sie im Stillen.
„Ich möchte trotzdem in ein Hotel!“
„Oh nein! Du wirst in der Villa wohnen, bis Chiara aus dem Koma aufwacht, damit ich immer weiß, wo ich dich erreichen kann. Danach kannst du gehen, wohin du willst.“
Wie üblich glaubt er, einfach befehlen zu können, dachte sie frustriert. Was sie dachte, war ihm völlig egal.
Energisch schüttelte sie den Kopf. „Meine Entscheidungen kann ich selbst treffen, Rico! Ich bin keine deiner Untergebenen.“
„Nein, sondern meine Frau.“ Er klang kalt. „Und du tätest gut daran, das nicht zu vergessen.“
Ihr stockte angesichts so viel Arroganz beinah der Atem. „Jetzt ist nicht die richtige Zeit, um dich als sizilianischer Macho aufzuspielen und …“ Ein warnender Blick seiner glitzernden schwarzen Augen brachte sie zum Schweigen.
Und plötzlich wusste sie, dass Rico sie noch immer begehrte.
Wäre ihr nicht so elend zumute gewesen, hätte sie schadenfroh gelächelt. Dass er – der alles und jedes unter Kontrolle hatte – sein Verlangen nicht beherrschen konnte, musste ihn extrem verbittern.
Nein, nach Lächeln ist mir nicht wirklich zumute, stellte Anastasia dann fest. Eher danach, zu schreien und zu schluchzen. Oder Rico zu schlagen …
Es war alles so hoffnungslos. Eine solche Verschwendung! Und es hätte jetzt nicht so sein müssen. „Ach, Rico, es …“
Sofort schuf er Abstand, körperlich und seelisch, und war wieder der eisern beherrschte Mann, als den sie ihn kannte.
„Du kannst natürlich tun, was du willst“, sagte Rico kühl. „Vorausgesetzt, du wohnst in der Villa, solange wir dich brauchen.“
Sie hatte keine Energie mehr, um mit ihm zu streiten. Für eine Auseinandersetzung mit ihm brauchte man sozusagen frisch geladene Akkus, und ihre waren definitiv leer.
Rico sah sie kurz forschend an, dann nickte er. „Ich lasse dich also jetzt vom Chauffeur zur Villa bringen.“
In die Villa, in der sie so glückliche Zeiten erlebt hatten. Wollte er sie wirklich dort haben? Das würde ihrer beider Elend doch nur verschlimmern!
Oder
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