Das Beste aus 40 Jahren
Haar sich wellte.
„Mami!“, schrie Jonathan begeistert und stolperte beinahe über seine eigenen Füße, so schnell wollte er bei ihr sein.
Dianne lächelte, ging in die Hocke, breitete die Arme aus und fing ihn auf. „Hallo, Liebling!“, sagte sie mit belegter Stimme und zog ihn an sich. Sie spürte seine kleinen Hände in ihrem Haar, die Ärmchen um ihren Hals, und eine unbeschreibliche Wärme durchflutete sie, als er sich so vertrauensvoll an sie schmiegte. „Warst du auch immer schön artig?“, fragte sie und hielt ihn ein wenig von sich ab.
Jonathans Augen wurden noch größer, als sie ohnehin schon waren. „Tante Clarry hat böses Bein“, verkündete er wichtig. „Komm angucken.“
Er nahm sie bei der Hand und zog sie durch den Flur ins Wohnzimmer, wo Clarry Meadows auf der Couch saß. Ihr in einem Gipsverband steckendes Bein ruhte auf einem Hocker. Dianne blickte sie halb bekümmert, halb mit lächelnder Nachsicht an.
„Wie hast du das nur wieder angestellt?“, rief sie, ging auf Clarry zu und küsste sie auf die Wange. „Man darf dich wirklich nicht fünf Minuten allein lassen.“
Clarry lachte und tat so, als schäme sie sich schrecklich. „Ich weiß. Ich bin eine dumme alte Frau, nicht wahr, Jonathan?“
Jonathan kletterte neben seine Tante auf die Couch, und Clarry fuhr fort. „Wie geht es dir? Das ist viel wichtiger. Tut mir leid, dass ich dich vorzeitig zurückrufen musste.“
„Das hast du gar nicht getan, ich wollte ohnehin abreisen“, sagte Dianne und versuchte, die wachsende Verzweiflung zu unterdrücken, die nach der ersten Wiedersehensfreude in ihr aufstieg.
Clarrys Miene verdüsterte sich. „Du siehst eigentlich gar nicht so besonders gut aus“, stellte sie fest. „Hast du Manoel gesehen? Hat er dir das Geld gegeben?“
Dianne seufzte, zog den Mantel aus, warf ihn achtlos über einen Sessel und ließ sich in einen anderen fallen. Jonathan krabbelte von der Couch herunter, kam zu ihr gelaufen und kletterte ihr auf die Knie.
„Ja“, sagte sie endlich. „Ja, ich habe Manoel gesehen, und er hat mir das Geld gegeben.“
Clarry presste die Lippen zusammen. „Aber es war schlimm, nicht wahr?“
„Sehr schlimm“, antwortete Dianne mit zusammengebissenen Zähnen.
Clarry seufzte. „Denk jetzt nicht mehr dran. Du bist wieder zu Hause. Du kannst mir alles erzählen, wenn es dir nicht mehr so wehtut. Geh jetzt und stell den Teekessel auf. Mrs Reynolds war bis vor ein paar Minuten hier, aber als sie dich die Straße heraufkommen sah, ist sie durch die Hintertür verschwunden. Ich glaube, sie dachte, wir würden gern eine Zeit lang allein sein. Aber ich nehme an, sie hat alles für den Tee bereitgestellt.“
9. KAPITEL
In den nächsten Tagen versuchte Dianne mit großer Entschlossenheit, sich ganz natürlich zu benehmen. Tante Clarrys Invalidität half ihr sogar dabei, denn sie hatte viel zu tun und wenig Zeit, sich selbst leidzutun. Abends fiel sie immer völlig erschöpft ins Bett.
Sie hatte sich mit ihrer Schule in Verbindung gesetzt und dem Direktor erklärt, dass sie Jonathan jetzt selbst versorgen müsse, da ihre Tante krank sei. Er war überaus verständnisvoll und versprach ihr, für eine kurzfristige Vertretung zu sorgen. Selbstverständlich ergaben sich dadurch einige Schwierigkeiten finanzieller Art; doch Dianne war fest entschlossen, das Geld, das Manoel ihr gegeben hatte, nicht anzugreifen und nur für den vorgesehenen Zweck zu verwenden. Wenn es Clarry besser ging, würden sie vielleicht alle drei für kurze Zeit verreisen. Zweihundert Pfund waren viel Geld und zusammen mit ihren Ersparnissen …
Clarrys Bein heilte allmählich. Sie konnte jetzt mit Krücken herumlaufen und bestand darauf, in der Küche zu sitzen, Kartoffeln zu schälen oder Geschirr abzutrocknen.
Das Wetter wurde jetzt viel wärmer, und eines Nachmittags fuhr Dianne mit Jonathan in den Zoo. Er liebte Tiere und kam auch langsam in das Alter, in dem ein solches Erlebnis ihm etwas bedeutete. Aufgeregt lief er von einem Gehege zum anderen, bejubelte die einzelnen Tierarten, aß Eiscreme und genoss den Ausflug wie jeder normale Zweijährige.
Erst auf der Heimfahrt im Bus begann er zu husten, und sein kleines Gesicht verzerrte sich vor Atemnot. Dianne wünschte verzweifelt, die schrecklichen Anfälle, die ihn so schwächten und hilflos machten, an seiner Stelle erleiden zu können.
Die Sorge um Jonathan beschäftigte sie, als sie den Sportwagen durch die Beldrum Terrace nach Hause schob.
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