Das Beste aus meinem Leben
Keller meines Lebens? Den eindrucksvollsten hatte ich auf dem Land, in einem Bauernhaus, unter dem sich ein modriger Lehmkeller befand, dessen Tür ich nur einmal öffnete. Da schlug mir ein feuchter Hauch entgegen, und ich sah eine riesige, den Raum füllende weiße Kröte sitzen. Sie blickte mich verwundert an und machte ein gurgelndes Geräusch. Ich schloss die Tür und machte sie nie wieder auf.
Und heute? Ich wohne in einem alten Haus, fünf Stockwerke, mit Keller darunter. An einem Gang findet man blaue Stahltüren, die zu den Abteilen führen. Abends macht es auf dem Gang oft Schlappklapp-schlappklapp – ein Mann in gestreiften Gummilatschen geht zu seinem Kellerraum, um in einem Flaschenbehälter aus Kunststoff, der sechs Flaschen Platz bietet, sechs Flaschen Bier zu holen. Das ist einer meiner Nachbarn.
Oder man hört ein Rascheln, weil jemand in einem Freizeitanzug aus Fallschirmseide seinen Keller aufsucht. Dort hat er eine Modelleisenbahn, mit der er spielt, bis ihn seine Frau über die Gegensprechanlage zum Essen ruft. Das ist ein anderer meiner Nachbarn.
Oder es ist ganz still, und ein dritter Mann steht vor der Tür seines Abstellraumes und horcht.
Das bin ich.
Unser Keller war jahrelang sozusagen das Unterbewusstsein unserer Wohnung. Alles, was oben störte, verdrängten wir nach unten. Auf diese Weise sammelte sich allerhand hinter der Stahltür: alte Schränke und die Einzelteile eines Ehebettes, ein unnütz gewordener Kinderwagen und Langlaufskier mit kaputter Bindung, zwei defekte Inhalationsgeräte und leere Bierkästen, Teile einer ausrangierten Duschkabine und zerschlissene Reisekoffer, lauter Sachen, die man nicht sehen will und trotzdem nicht wegwirft, weil man ja den Keller hat.
Unser Keller wurde voller und voller, die Dinge lagen übereinander, die hintere Wand war nicht mehr zu sehen, geschweige denn zu erreichen. Eines Tages stürzte etwas von innen gegen die Tür. Seither kann man sie nicht mehr öffnen, den Raum nicht betreten, nichts wegnehmen, nichts hinzufügen. Die Gegenstände drinnen sind sich überlassen. Ich habe einen Keller und doch keinen. Denn was unterscheidet Keinenkeller von einem, in den man nicht hinein kann?
Nicht mal an meinen Werkzeugkasten komme ich, und wenn ich eine Rohrzange brauche, leihe ich sie mir bei einem der Nachbarn. In ihren Kellern ist es so ordentlich, dass die Rohrzangen an Nägeln hängen, und wenn man sie abnimmt, wird dahinter jeweils der auf die Wand gemalte Schattenriss einer Rohrzange sichtbar. Man sieht sich um, ob es auch den Schattenriss eines kaputten Inhalators oder eines unnützen Kinderwagens gibt – nichts. Nur Ordnung, spießige, abstoßende, begehrenswerte Ordnung.
Und über allem hängend das sanfte Rascheln von Freizeitanzügen, dazwischen, wie ein Metronom, das regelmäßige Schlappklapp gestreifter Latschen. Wenn Ordnung ein Geräusch machen würde, wäre es so ein eintöniges, immergleiches Rascheln mit Schlappklapp dazwischen. Man müsste einen Apparat erfinden, der Ordnung hörbar macht, eine Kiste mit Mikrofon und Kopfhörern. Vor Kasernen, Einwohnermeldeämtern, Bibliotheken hätte man das gleiche Geräusch im Ohr, nicht Bellen von Befehlen, sondern sandiges Reiben, hartes Klappen.
Und die Unordnung? Was wäre von ihr zu hören?
Abends, wenn der letzte den Keller verlassen hat, das letzte Schlappklapp verklungen ist, lege ich das Ohr an meine Kellertür und horche und kann sie hören, die Geräusche der Unordnung, die Musik des Chaos: das klappernde Lachen der Rohrzangen, das heisere Husten gebrechlicher Inhalatoren, das senile Schmatzen eines ausrangierten Luftbefeuchters, das alberne Kichern eines Kinderwagens, das Stöhnen einer Kreuzschlitzschraube, die sich einem Kreuzschlitzschraubenzieher hingibt, das Weinen eines fernwehkranken Koffers – all das, was Gegenstände nur machen, wenn sie lange Zeit unter sich sind. Und was nur wenige Menschen kennen, nur solche, die Keller haben wie ich.
Das Geheimzahlengrab
P sst, wir sprechen über Geheimzahlen. Was sind Geheimzahlen? Geheimzahlen sind bisher unbekannte Zahlen, die von blinden Arbeitern aus dem Dunkel der großen Zahlenbergwerke in Sibirien und Südafrika geschürft werden, dann in verplombten Loren an die Erdoberfläche gelangen, von dort in schwerbewachten Waggons in riesige Geheimzahlsortierzentren transportiert werden, wo taubstumme Analphabetinnen sie einzeln in blickdichte Umschläge verpacken und an Leute wie mich abschicken.
Psst, ich bin ein
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