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Das Beste aus meinem Leben

Das Beste aus meinem Leben

Titel: Das Beste aus meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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Geheimzahlengrab. Wenn ich wieder einmal einen Geheimzahlenbrief bekomme mit einer Geheimzahl für meinen Geldautomaten oder meine Kreditkarte oder mein neues Handy oderoderoder, dann meißele ich die Ziffern in mein Hirn, esse ohne Appetit den Geheimzahlenbrief, verdaue ihn, scheide ihn aus – worauf die geheime Zahl nur noch an einem einzigen Platz in der Welt existiert: in meinem Oberstübchen.
    Ich habe ein sehr gutes Zahlengedächtnis, leider, möchte ich sagen. Sobald eine neue Geheimzahl bei mir eintrifft (und hier treffen, wie bei anderen Leuten auch, mittlerweile nahezu täglich Geheimzahlen ein), muss ich dafür eine Buchstabenkombination aussortieren: ein Wort. Ich vergesse es. Erst kürzlich schickte man mir eine Geheimzahl, mit der versehen ich die Mailbox meines Mobiltelefons aus dem Ausland abzufragen in der Lage bin. Dafür warf ich ein vierbuchstabiges Substantiv aus meinem Gedächtnis – welches, weiß ich natürlich nicht mehr. Auf diese Weise wird mein Kopf aber nach und nach besetzt von Zahlen, keine einfache Situation für einen Menschen, der beruflich auf Umgang mit Wörtern angewiesen ist. Ich wollte zum Beispiel in der nun folgenden Lücke ein Wort schreiben. Aber ich kann es nicht. Ich weiß dieses Wort nicht mehr. Es ist in meinem Kopf durch eine vierstellige Zahl ersetzt worden, eine Geheimzahl, die ich nicht hinschreiben kann, sonst würde ich sie ihres geheimen Charakters entkleiden und vernichten.
    Es gibt aber viele Leute, die sich Geheimzahlen nicht so gut merken können wie ich. Sie versuchen, die Ziffern zu speichern, vergessen sie indes doch – worauf natürlich die Geheimzahl, von der ja nur ein einziges Exemplar auf der Welt existieren darf, für immer verloren ist. Die Folge: In nicht allzu ferner Zeit werden die vierziffrigen Geheimzahlflöze in den Minen der Welt erschöpft sein. Man wird beginnen müssen, Stollen zu den fünfstelligen Geheimzahlen zu graben, deren Abbau umständlicher und teurer ist. (Zudem haben sich alle Länder, die über Geheimzahlvorräte verfügen, zu einem Kartell ähnlich der OPEC zusammengeschlossen und sind bereit, die auf Geheimzahlen angewiesene Welt in eine ölkrisenähnliche Situation zu bringen.)
    Vor allem aber gilt: Fünfstellige Geheimzahlen sind schwerer zu merken als vierstellige. Noch mehr Menschen werden grübelnd vor Geldautomaten stehen. Noch mehr Menschen werden noch längere Zahlen vergessen, wobei gleichzeitig ja der Bedarf an Geheimzahlen auch insofern steigt, als immer neue Geräte, Automaten und Geschäfte sich erst nach Eingabe einer Geheimzahl in Funktion begeben – bereits soll es Büros geben, die man nur nach Eintippen einer Geheimzahl betreten darf, um dort seine Arbeit zu verrichten. Noch mehr und noch längere Wörter werde ich durch Zahlen ersetzen müssen.
    Logischerweise werden eines Tages auch die Vorräte fünfziffriger Geheimzahlen verbraucht sein. Man wird sich an die Hervorschürfung noch längerer Geheimzahlenreihen machen – ein Prozess ohne oder jedenfalls mit einem sehr bitteren Ende, meiner beruflichen Auslöschung nämlich, weshalb ich Sie bitten möchte, angesichts der bereits sichtbaren Löcher in meinen , sich Geheimzahlen sehr zu merken, ich brauche Wörter keine . Aber psst.

Als ich meinen Kühlschrank küsste
    M orgens kam ich in die Küche, Paola und Luis schliefen. Es sah fürchterlich aus. Am Abend zuvor hatten wir Gäste gehabt, viele. Geschirr und Gläser standen noch herum.
    »Eine Frage noch zu gestern abend«, sagte Bosch, mein sehr alter Kühlschrank und Freund.
    »Hmmmm«, machte ich.
    »Waren das alles deine Freunde? Und Freundinnen?«
    »Nicht alle«, sagte ich. »Manche nur Bekannte.«
    »Du hast alle geküsst. Erst links, dann rechts. Einmal als sie kamen, einmal als sie gingen.«
    »Das macht man so«, sagte ich.
    Ich betrachtete mein Gesicht in der spiegelnden Glasscheibe des Geschirrschranks. Manchmal kommt’s mir nach so einem Abend vor, als sei das Wangenfleisch dünner oder angegriffen oder geschwunden von der Küsserei. Warum nur ist der Begrüßungskuss dermaßen in Mode gekommen? dachte ich.
    »Neulich habe ich einen alten Film noch mal gesehen«, sagte ich, » Fitzcarraldo von Werner Herzog. Darin kommen Urwaldindianer vor, die sehr vorsichtig in ihren Gesten sind. Sie geben sich zur Begrüßung nicht mal die Hand. Sie reiben nur zart mit den Fingerspitzen an den Fingern des Gegenüber.« Ich strich mit meinen Fingerspitzen über die Kühlschranktür. »So.«
    »Küssen

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