Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Beste aus meinem Leben

Das Beste aus meinem Leben

Titel: Das Beste aus meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
Vom Netzwerk:
ihr Menschen waren, Menschen, die warteten, Menschen, die vorankommen wollten im Leben oder wenigstens im Supermarkt,
    während diese rücksichtslose, nirgendwo erwartete, nirgendwo benötigte, ergo über Massen an Zeit verfügende, das Leben Unbeteiligter ungerührt verzögernde Person stumpfen Wurstblicks der Rückkehr der Kassiererin harrt,
    und während die Menschen in der Schlange neben dir, in der richtigen Schlange, in der Schlange derer, die zügig ihre Ware auf das Förderband zu legen imstande waren, rasch zahlen konnten und auch darauf achteten, dass ihren Wurstpaketen Bons anhafteten,
    die Menschen in der Schlange also, die du wieder einmal nicht wähltest,
    während diese Menschen frei aus dem Supermarkt eilen, unbehindert, entschlangt,
    genau da wird neben dir eine dritte Kasse eröffnet, zu der sofort die hinter dir gewartet habenden Menschen hinüberrieseln, und an der sie sogleich bedient werden, obwohl sie in der Schlange hinter dir standen – du aber kamst aus dem Kassengang nicht hinaus, weil du ja der nächste an dieser Kasse bist, als solcher schon eingeklemmt zwischen Zigarettenkäfig und Süßigkeitenbehälter vor jener Zahlstelle, an der ein enthirnter Wurstfresser auf eine vom Supermarktboden verschluckte Kassiererin wartet, und du Wartewurm wartest mit ihm, hinter ihm, wieder einmal, wie du schon oft gewartet hast und noch oft warten wirst in diesem Leben, diesem zu kurzen Leben, das du in Schlangen harrend diese Schlangen hassend verbringst, »falsche Schlange, oh, du widerliche, falsche Schlange« murmelnd, immer am falschen Platz – warum, warum, warum?

Wozu ich da bin
    E s ist eine Weile her, da überraschte mich mein Sohn Luis mit der Frage: »Papa, wozu bist du eigentlich da?«
    Ich rang kurz um Fassung, dann entschloss ich mich zur Gegenfrage: »Was glaubst du denn, wozu ich da bin?«
    Er runzelte seine fünfjährige Stirn, schloss kurz die Augen, grübelte hierhin und dorthin, dann sagte er langsam: »Um mich in den Kindergarten zu bringen… Um mir abends vorzulesen… Um mir das Badewasser einzulassen… Um mit mir zu spielen…«
    Was für eine wunderbare, zutiefst sinnvolle Existenz!, seufzte ich. Wenn ich den kleinen Luis nicht hätte, wenn ich ihn nicht in den Kindergarten bringen könnte, ihm abends nicht vorlesen dürfte, ihm nicht das Badewasser einließe, nicht mit ihm spielte – mein Leben wäre nichts.
    »Und wozu bist du da?«, fragte ich ihn.
    »Um zu spielen!«
    »Dann lass uns spielen!«, rief ich. »Wenn du dazu da bist.«
    Und wir spielten. Wenn wir spielen, ist es meistens so, dass ich von Luis zu irgendetwas ernannt werde oder in irgendetwas verwandelt werde.
    Luis sagt: »Du bist jetzt mein Pferd.« Dann bin ich sein Pferd, er reitet auf meinem Rücken, gibt mir Zuckerstücke zu fressen, und ich muss eine selbstgebastelte Kutsche durch die Wohnung ziehen.
    Oder Luis sagt: »Du bist jetzt mein Klettergerüst.« Dann bin ich sein Klettergerüst, er hüpft auf meinem Bauch, steigt auf meine Schultern und springt von dort zu Boden.
    Oder Luis sagt: »Du bist jetzt ein Wassermonster.« Und dann bin ich ein Wassermonster, muss den Kopf im Schwimmbad unter Wasser stecken und blubbern, mit den Armen Wellen aufpeitschen und Luis mit Ich-fressdich-Schreien durch das ganze Bad verfolgen. Was halt die Wassermonster so tun den lieben langen Tag.
    Ist doch interessant, denke ich, zu was der menschliche Körper alles taugt. Zu welchen Verwandlungen. Und was er aushalten kann. Welche Belastungen so ein Vaterkörper erträgt, als Klettergerüst vor allem. Übrigens gehören zu meinen intensivsten Kindheitserinnerungen die Turnereien auf meinem eigenen Vater. Warum? Weil sie so selten waren. Mein Vater war kriegsverletzt. Ihm tat schnell was weh. Alle Väter waren damals kriegsverletzt. Jedem erwachsenen Mann in unserer Straße fehlte ein Bein oder ein Arm. Allein drei waren blind und wurden morgens von ihren Söhnen zur Bushaltestelle geführt. Meinen Vater schmerzte immer und immer das linke Bein, von einer Wunde, die nie heilte, und eines seiner Augen hatte er durch ein Glasauge ersetzen müssen. Wenn ich nachts ins Bad ging, um einen Schluck Wasser zu trinken, sah es mich an, das Glasauge. Es badete in einer Borwasserlösung in einem Glas und guckte mich an.
    Vielleicht turne ich deshalb so gerne mit meinem Sohn herum, weil ich weiß, wie es ist, wenn ein Vater nicht mit seinem Sohn herumturnt. Oder nur selten. Es gibt ein Foto von meinem Vater und mir, da sitzt er auf

Weitere Kostenlose Bücher