Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
einen möglichst neutralen, aufmerksamen Gesichtsausdruck. »Nun ja, das stimmt nicht ganz. Es geht wohl schon seit einer Weile so. Seit ein paar Jahren vielleicht. Aber es kam nur ab und zu vor. Jedenfalls nicht so häufig, dass es mich beunruhigt hätte. Ich habe dem keine große Bedeutung beigemessen. Das tue ich immer noch nicht.«
»Nein?«
»Nein.«
»Ich fürchte, das nehme ich dir nicht ab.«
Meine Mutter seufzte. »Julia, würdest du mir bitte sagen, was um alles in der Welt dieses Verhör soll? Ich finde es nicht gerade amüsant, mich wie eine Figur in einem Agatha-Christie-Krimi zu fühlen.«
»Hast du dich je gefragt, ob einer unserer Angestellten etwas mit den verlegten Gegenständen zu tun haben könnte?« Ich holte tief Luft, bevor ich hinzufügte: »Curtis zum Beispiel?« Er war der Einzige, der wirklich infrage kam, denn nur er stand eng genug mit meinem Vater in Kontakt. Aber er war auch derjenige, dessen Verrat am meisten schmerzen würde.
Meine Mutter presste die Lippen aufeinander – eine Angewohnheit, die ich von ihr übernommen hatte und leider nicht abschütteln konnte. »Curtis ist schon seit einer Ewigkeit bei uns. Seit immer.«
»Ja«, sagte ich. »Ich weiß.«
»Er gehört zu den besten Freunden deines Vaters.«
Ich sagte nichts.
»Vermutlich ist dir nicht klar, wie unglaublich schwer es ist, verlässliche Hausangestellte zu finden. Diese Leute, mit denen wir uns umgeben, wissen alles über uns. Wir müssen daran glauben, dass sie loyal und ehrlich sind, sonst geht die Rechnung einfach nicht auf.« Da meine Mutter sich langsam an etwas heranzutasten schien, ließ ich sie reden. Sie sah mich die ganze Zeit über ruhig an, doch ich spürte, dass es hinter ihrer glatten Stirn arbeitete.
»Lucia Quintana«, sagte sie. »Sie war wirklich durch und durch loyal.« Sie hob einen Finger. »Mehr noch: eine loyale Freundin . Lucia war ein offenes Buch, und diese erfrischende Eigenschaft haben nicht viele Menschen. Bei Annie ist es genauso, findest du nicht? Ich hätte ihr ohne Bedenken das Wertvollste anvertraut, was ich habe. Und das habe ich natürlich auch. Ich habe dich in ihre Obhut gegeben. Ich habe ihrem Urteil uneingeschränkt vertraut.«
»Was meinst du?«, fragte ich. Ich hatte mich auf alles Mögliche gefasst gemacht, nur nicht darauf, dass meine Mutter auf Lucia zu sprechen kommen würde.
»Curtis hat mir im Laufe der Jahre … weniger den Eindruck vermittelt, dass er vertrauenswürdig ist. Er ist kein offenes Buch. Ich halte mich für eine gute Menschenkennerin, aber Curtis ist nur sehr schwer zu durchschauen. Es ist doch recht zermürbend, wenn jemand die intimsten Details deines Lebens kennt, während du selbst so gut wie nichts über ihn weißt. Deinen Vater scheint das allerdings nie gestört zu haben.«
»Also hast du ihn nur Dad zuliebe bei uns behalten?«
»Nun, es hatte natürlich viel mit deinem Vater zu tun. Aber eigentlich war es Lucia, die mich damals überzeugt hat. Ich vertraute Lucia, und sie vertraute Curtis – und so glaubte auch ich, dass ich Curtis vertrauen kann. Glaube ich«, verbesserte sie sich schnell. »Ich glaube noch immer, dass ich Curtis vertrauen kann.«
Ich stutzte. »Woher wusstest du, dass Lucia Curtis vertraut hat?« Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, wurde mir klar, dass ich die Antwort kannte.
Meine Mutter blinzelte. »Na, immerhin waren sie zusammen. Lucia und Curtis. Sie waren – wie würde man das sagen – sie waren ein Paar.«
In dem Moment, in dem sie das sagte, blitzte eine lange vergessene Szene in meinem Gedächtnis auf. Ich musste damals zehn oder elf gewesen sein. Ich ging den Flur zur Küche entlang, als ich Lucia und Curtis in dem kleinen Nebenzimmer, in dem die Angestellten ihre Mahlzeiten einnahmen und tagsüber ihre Mäntel und Taschen ablegten, eng beieinanderstehen sah. Ich weiß noch, dass mir irgendetwas an diesem Anblick, an der Position dieser beiden Körper zueinander seltsam vorkam, fremd und verwirrend. Dann sah Curtis plötzlich auf, und ohne eine Miene zu verziehen oder irgendetwas zu sagen, machte er mir die Tür vor der Nase zu. Soweit ich mich erinnere, schloss ich daraus, dass er mich gar nicht gesehen hatte – es war dunkel im Flur – und dass an dem, was ich beobachtet hatte, wohl auch gar nichts komisch gewesen war. Die Leute, die für uns arbeiteten, hatten eben noch ein zweites Leben. Sogar meine geliebte Lucia hatte ein Leben, in dem ich nicht vorkam. Das klingt, als wäre das ein
Weitere Kostenlose Bücher