Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
»Ich weiß es nicht. Allein der Gedanke ist furchtbar.«
»Aber er verfolgt dich trotzdem. Hast du mit deiner Mutter darüber gesprochen?«
»Sollte ich? Was meinst du?«
»So wie ich sie kenne, hat sie diesen Verdacht bestimmt auch schon gehabt.«
»Aber die Leute, die bei uns arbeiten, sind seit Jahren Teil unserer Familie. Wer von ihnen würde so etwas tun?«
Wir schwiegen beide. Wahrscheinlich ging Julia gedanklich die Liste der Angestellten durch, genau wie ich. Der stoische, treue Curtis? Natürlich nicht. Sonja, die Köchin mit dem runden Gesicht und den blauen Augen, die seit mittlerweile zehn Jahren im Haus war? Unvorstellbar. Die stille Jacqueline oder die Quasselstrippe Angela, die sich so wunderbar ergänzten und seit Jahren für astreine Sauberkeit sorgten? So gut wie ausgeschlossen. Adolfo, der Gärtner, der noch vor Sonnenaufgang Blumen aus dem Garten holte, damit Lolly einen frischen Strauß auf ihrem Toilettentisch vorfand, wenn sie aufwachte? Lachhaft. Der ganze Gedankengang war einfach nur verstörend.
»Du solltest mit deiner Mutter sprechen«, sagte ich schließlich. Ich hätte Julia wirklich gern geholfen, aber in diesem Fall war ich vollkommen ratlos.
Und dann, gerade als Julia einen langsamen, fast trauervollen Bissen von ihrem Cupcake nahm, war dieses Gefühl wieder da. Ich spürte ein Kribbeln, ein plötzliches Unbehagen, als würden ich oder sie – oder wir beide – von jemandem beobachtet. Ich ließ mir nichts anmerken, um Julia nicht zu beunruhigen, und spähte auf die Straße hinaus. Nichts. Wahrscheinlich hatte ich einfach einen Cupcake zu viel gegessen. Mein Vorsatz, öfter mal auf Süßes zu verzichten, hatte nur eine Stunde des neuen Jahres angehalten.
26 – Julia
Ich hatte ein ambivalentes Verhältnis zu unserem Haus. An manchen Tagen fühlte ich mich dort wie in einer warmen Höhle geborgen – schließlich war mir jedes Möbelstück, jeder Teppich, jedes Kunstwerk seit Kindheitstagen vertraut – und schon am nächsten Tag konnte es mir groß und unheimlich vorkommen wie eine alte, knarzende Burg. So war es mir schon immer gegangen. Ich erinnere mich an Nachmittage, an denen ich nach einem langen Tag voller Machtkämpfe an der Schule nach Hause kam, mich auf die weinrote Couch in meinem dunklen Spielzimmer im Obergeschoss warf und das Gefühl hatte, nirgendwo so sehr ich selbst sein zu können wie hier, wo mir nichts, aber auch gar nichts passieren würde. An anderen Tagen, wenn meine Eltern den Abend außer Haus verbrachten und Lucia und Annie sich zum Schlafen in ihre gemütliche kleine Remise zurückgezogen hatten, während ich unter meiner bauschigen Daunendecke lag und auf das Geräusch des Schlüssels in der Eingangstür wartete, das die Rückkehr meiner Eltern und den auf meine Stirn gehauchten Gutenachtkuss meiner Mutter ankündigte, wähnte ich mich am einsamsten, kältesten und leersten Ort der Welt.
Die Testergebnisse meines Vaters waren natürlich eine Erleichterung. Eine Riesenerleichterung sogar. Nicht auszudenken, wenn er tatsächlich Alzheimer gehabt hätte und wir einem mehr oder weniger schnellen Krankheitsverlauf hilflos hätten zusehen müssen. Das war … unvorstellbar. Und trotzdem kam mir das Haus seit dieser erfreulichen Diagnose mehr wie das knarrende, kalte Geisterhaus aus meiner Jugend vor und nicht wie der sichere Hafen, in den ich mich im Frühjahr geflüchtet hatte, als meine Welt zusammengebrochen war. Ich versuchte zu ergründen, was in mir vorging, wenn ich die geschwungene Mahagoni-Treppe hinunterstieg, die Tür zu meinem begehbaren Schrank öffnete oder ein weiteres Hochzeitsgeschenk in einem der lichtdurchfluteten Gästezimmer verstaute. Es war nicht so, dass mir die Decke auf den Kopf fiel – auch wenn ich mich natürlich darauf freute, nach der Hochzeit mit Wes zusammenzuziehen und wieder meine eigenen vier Wände zu haben. Keine einigermaßen selbstständige 28-Jährige würde es auf Dauer in ihrem Elternhaus aushalten, ohne genervt zu sein. Ja, zum Teil war es sicherlich die Ungeduld, endlich mein neues Leben zu beginnen, das Gefühl, nicht länger Gast meiner Eltern sein zu wollen. Doch das war nicht alles. Einmal, es war neun Uhr morgens, und ich machte mich gerade auf den Weg ins Treat, blieb ich mitten auf der Treppe stehen und horchte in mich hinein. Was empfand ich gerade? Unbehagen, schien mir. Ängstliche Nervosität. Ich hörte Sonja in der Küche herumhantieren. Ihre vertraute Stimme plätscherte so munter dahin wie
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