Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
hinnehmen. Zur Verteidigung unseres armen von der Sonne aufgelösten Nebels und zur Feier der Heimkehr unserer verlorenen Tochter, der Heiligen Julia, schlage ich vor, dass wir uns den ganzen Tag lang in einem geschlossenen Raum verbarrikadieren und trinken. Balboa Café, wie in alten Zeiten. Bist du dabei?«
Ich sah zur Bucht hinunter und kniff nachdenklich die Augen zusammen. Es war nicht gerade mein Stil, mich um zehn Uhr morgens mit einem Ex auf einen Drink zu treffen. Andererseits … Wes war am anderen Ende der Welt. Annie weigerte sich, mit mir zu sprechen. Wenn ich allein war, kreisten meine Gedanken nur um Krankenhausbetten und die schreckliche Ungewissheit, auf die mein Leben zusteuerte. Was also hatte mir »mein Stil« bitteschön nach all den Jahren gebracht? Und was war schon dabei, Jake zwischendurch auf einen Drink zu treffen? Ich war eigentlich in einer Stunde mit meiner Mutter verabredet, die einen Termin beim Floristen ausgemacht hatte, aber damit kam sie ja wohl alleine klar.
»Ich bin in einer halben Stunde da«, sagte ich und spürte so etwas wie – Erleichterung? Herzflattern? – zumindest etwas anderes als Traurigkeit.
Ich lief die lange, steile Straße hinunter, die von unserem Haus in Pacific Heights in den Marina District führte, wo das Balboa Café und viele andere meiner Lieblingsbars aus der Studienzeit lagen. Ich hatte noch nie besonders gern Alkohol getrunken; meistens nippte ich den ganzen Abend über an einem Wodka Soda, bis nur noch Eiswasser mit einem leicht metallischen Limettengeschmack übrig war. Doch in letzter Zeit hatte ich angefangen, am Trinken Gefallen zu finden. Die ersten beiden Gläser stimmten mich eher trübsinnig oder wehleidig, aber das dritte? Das dritte machte plötzlich alles leichter, als wäre das, was in den vergangenen Monaten geschehen war, eigentlich gar nicht so wichtig.
Trotz der herrlichen Aussicht auf die Stadt, die zwischen grünen Hügeln und der glitzernden Bucht in die steilen Hänge gemeißelt vor mir lag, bekam ich bei diesem Spaziergang Heimweh nach Manhattan. Als ich nach New York gezogen war, hatte ich zu meiner Überraschung festgestellt, dass entgegen dem, was alle immer behaupteten, die Stadt sauberer war und weniger abschreckende Obdachlose hatte als meine Heimatstadt. In San Francisco wirkten die Gehwege und Straßen das ganze Jahr über ungepflegt und laubübersät, und die Gebäude mussten jedes Jahr neu gestrichen werden, weil die salzigen Winde und die Sandstürme den Fassaden so zusetzten. In manchen Gegenden sahen ganze Straßenzüge aus, als müsste man sie einmal gründlich mit Wasser abspritzen. Trotzdem lag ein Zauber über dieser Stadt, dem man sich einfach nicht entziehen konnte. Dies war meine Heimat und würde es immer sein. Zumindest das hatten Annie und ich gemeinsam: Wir waren waschechte San-Francisco-Girls.
Jake saß mit dem Rücken zu mir an dem dunklen Holztresen, als ich das Balboa betrat. Eine junge Frau, die ein Stück weiter weg saß, hatte sich ihm zugewandt; ihr blonder Pferdeschwanz wippte, während sie über eine Bemerkung von ihm lachte. Ihre Freundinnen sahen sich bei diesem Geschäker vielsagend an, und kurz darauf brach die ganze Gruppe in wildes Kichern aus. Ich war an der Tür stehen geblieben und beobachtete sie. Warum müssen Frauen mit Speckrollen am Bauch unbedingt Hüftjeans tragen? , fragte ich mich angewidert. Ist es wirklich zu viel verlangt, diese unansehnlichen Rettungsringe mit ein paar Zentimetern mehr Stoff vor dem arglosen Blick der Öffentlichkeit zu verbergen? Mit einem Seufzen erinnerte ich mich daran, dass es mir egal sein konnte, ob Jake mit einem Mädchen flirtete, das höchstens einundzwanzig war und seinen rosa Hanky-Panky-Tanga noch über die Fettwulst, die über dem Hintern aus der Jeans quoll, gezogen hatte. Und trotzdem fuhr ich beim Anblick der beiden unwillkürlich die Krallen gegen diese Rivalin aus. Ein Gefühl, das ich nur zu gut kannte.
In meinem letzten Jahr an der Devon Prep hatte ich mich endgültig als Alphamädchen der Schule durchgesetzt. Natürlich hätte ich mich damals nie so bezeichnet, aber im Nachhinein betrachtet, ist es doch ziemlich klar, dass ich das war. Ich hatte die besten Noten, war Wortführerin einer Clique hübscher, beliebter Mädels und konnte meine Outfits aus einer Garderobe auswählen, für die jede meiner Altersgenossinnen über Leichen gegangen wäre. Als ich zufällig sah, wie Jake Logan aus der Reederei-Familie Logan, der Kapitän des
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