Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Bridge lag, hatte ich das Gefühl, als lebte ich auf einem anderen Stern. Leider interessierte sich Becca brennend für die St. Clairs; ihre Eltern arbeiteten in Sacramento bei der Post, und ihre vier Brüder waren polternde Muskelprotze, die sich in den Ferien, die ich nach dem Tod meiner Mutter immer bei Beccas Familie verbrachte, wie junge Welpen balgten. Dagegen erschien ihr die Welt von Pacific Heights wie ein geheimnisvoller Mikrokosmos, dessen Erforschung sie sich mit Hingabe widmete.
»Die Party war eigentlich genau wie erwartet, aber dann kam der große Schock«, sagte ich, während ich es mir auf dem Sofa bequem machte und mit Schaudern an Julias Anruf zurückdachte. »Die Eisprinzessin war auch da.«
»Was? Nein! Erzähl!«
»Es war total merkwürdig. Sie ist verlobt, aber sie hat mit einem Typen geflirtet, den ich damals total toll fand – ihr Exfreund, genaugenommen. Und mir hat sie die ganze Zeit Honig ums Maul geschmiert. ›Oh, Annie, deine Cupcakes sind einfach köstlich ‹, bla, bla, bla. Wenn ich solches Gesülze höre, frage ich mich ernsthaft, ob Komplimente nicht eigentlich versteckte Gemeinheiten sind. Im Grunde ist ein Kompliment doch nur eine besonders perfide Methode, durchblicken zu lassen, dass man dir nie und nimmer zugetraut hätte, so gut auszusehen oder so erfolgreich zu sein oder, was weiß ich, diesen oder jenen Grünton besonders schön zur Geltung zu bringen.«
Becca neigte ihren Kopf zur Seite. »Verstehe ich das richtig, das Miststück hat dir Komplimente gemacht?«
»Ich weiß, ich weiß, ich klinge wie ein Teenager, der von Selbstzweifeln und Selbstekel geplagt wird. Ein Abend bei den St. Clairs, und schon lösen sich zehn Jahre gesunder Menschenverstand in nichts auf.« Ich seufzte. »Lassen wir das. Na los, wirf die Glotze an, bevor Mike nach Hause kommt und unbedingt Sport sehen will.«
»Moment«, begann Becca, »vergiss nicht, dass ich dich schon als Teenager gekannt habe, als du vom Elfenbeinturm der St. Clairs in den Alltag von Berkeley niedergestiegen bist. Selbstzweifel, Selbstekel oder sonst irgendein Selbst-Dingsbums habe ich garantiert nie bei dir erlebt.« Sie hielt mit erhobenem Zeigefinger inne. »Höchstens Selbstkritik. Das von mir aus, wenn du dir unbedingt ein Wort mit ›Selbst‹ anheften willst. Und außerdem«, fuhr sie fort, »bin ich zwar wie jede heißblütige Amerikanerin ganz scharf darauf, einem halbnackten, knackigen Kerl dabei zuzusehen, wie er mit der Bachelorette im Whirlpool rumknutscht, aber du scheinst mit deinen Gedanken ganz woanders zu sein. Und solange wir nicht zusammen über die Typen ablästern können und du dabei mindestens genauso viel Spaß daran hast wie ich, sollten wir das Gammelprogramm vielleicht besser noch ein bisschen aufschieben und über die St. Clairs reden.«
Ich stöhnte auf. »Also echt, Becca. Muss das sein? Julia hat mich heute schon genug Zeit und Nerven gekostet.«
»Heute?« Becca kniff die Augen zusammen. »Was meinst du? Ich dachte, du hast sie gestern getroffen.«
Ich starrte auf mein Weinglas. Eigentlich hatte ich Becca nichts von Julias Anruf erzählen wollen, weil ich genau wusste, was sie sagen würde. Sie würde losschimpfen, dass es absolut verrückt sei, Julias Angebot abzulehnen; so hatte sie ja schon reagiert, als ich Lollys Anfrage erwähnte. Das Problem war nur, dass man Becca, die in der zehnten Klasse einer Brennpunktschule Mathe unterrichtete, einfach nichts vormachen konnte. Sie roch es zehn Meter gegen den Wind, wenn man ihr etwas verheimlichte, und jetzt hatte sie eindeutig Witterung aufgenommen: Ihre Nase kräuselte sich wie bei einem Spürhund. Es wäre sehr anstrengend geworden, mich jetzt noch herauszuwinden, und ich hasste jede Art von Anstrengung.
»Julia hat mich heute Vormittag angerufen«, gab ich zu. »Sie will ein Cupcake-Café mit mir eröffnen und das Startkapital dafür zur Verfügung stellen. Aber flipp jetzt nicht gleich aus. Ich habe schon Nein gesagt. Ich käme überhaupt nicht damit klar, mit ihr zusammenzuarbeiten.«
Becca fiel die Kinnlade herunter. »Okay, damit bist du jetzt offiziell reif für die Klapsmühle«, sagte sie und schüttelte ihre langen, dunkelbraunen Haare, bis sie eine Strähne zu fassen bekam und wütend daran zu drehen anfing. »Ich meine«, fuhr sie fort, als die Haarsträhne sich schon in einem Knoten um ihr Ohr wand wie bei Prinzessin Leia aus Star Wars , »es würde mich ja auch aufregen, wenn ich mit Madonna arbeiten und den lieben
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