Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
kurze Zeit später mit drei dampfenden Bechern Kaffee zurück. Im Stehen nahm sie sich die Zubereitungsliste vor und las sie gründlich durch, während sie den brühend heißen Kaffee in bewundernswert großen Schlucken hinunterkippte. Dann machte sie sich mit großem Ernst ans Werk, rührte Muffinteig an und bereitete verschiedene Füllungen vor. Als sie den Standmixer anschaltete, begann Carlos mit seiner Sisyphusarbeit: In der Spüle türmten sich verkrustete Backbleche, Dosen und Schüsseln. Ich hatte im Laufe der Jahre schon in vielen gut eingespielten Küchenteams gearbeitet, aber so reibungslos wie mit Lorena und Carlos waren die Abläufe selten gewesen: Wir kannten uns inzwischen lang genug, um die Unstimmigkeiten, die unweigerlich auftreten, wenn man zu nachtschlafender Zeit auf engstem Raum zusammenarbeiten muss, nicht ausarten zu lassen. Doch selbst die kleinsten, stickigsten, feindseligsten Backstuben, in denen spanische Schimpftiraden wie Maschinengewehrfeuer hin und her gingen, während ich Teig ausrollte oder Bleche belud, waren mir irgendwann immer wie ein zweites Zuhause vorgekommen. Bis einer das eingeschworene Team wieder verließ, weil er einen besseren Job fand, in eine andere Küche wechselte oder in eine neue Stadt zog. Diesmal, dachte ich plötzlich mit Schrecken, würde ich diejenige sein, die ging. Hoffentlich würde Ernesto, der Inhaber des Cafés, Lorena zur Bäckerin befördern. Sie arbeitete seit dreißig Jahren als Küchenhilfe, und was ihr an Kreativität fehlte, glich sie mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit wieder aus. Am liebsten hätte ich sie mitgenommen, aber ich brachte es nicht übers Herz, Ernesto auch noch seine beste Hilfskraft abspenstig zu machen.
Um sechs Uhr dreißig hörte ich draußen vor dem Haupteingang einen Schlüsselbund rasseln, und gleich darauf steckte Ernesto seinen Kopf durch die Tür.
»Morgen allerseits«, trällerte er. Ernesto war morgens um halb sieben genauso munter wie abends um zehn, wenn er den Laden zumachte. Der Mann war eine echte Frohnatur.
»Schoko-Banane«, sagte ich und reichte ihm ein Tablett mit perfekt gebräunten Muffins.
Ernesto lehnte sich mit einem theatralischen Seufzer an den Türrahmen. »Die stelle ich ganz vorne in die Vitrine. Hach, dieser Duft! Da werden unsere Kunden nicht widerstehen können.«
»Solange du ihnen welche übrig lässt.« Ernestos Angewohnheit, die Backwaren »vorzukosten«, gab mir manchmal das Gefühl, als seine Privatkonditorin angestellt zu sein.
»Ich kann doch nichts verkaufen, was ich nicht selbst probiert habe«, rief Ernesto aus dem Café herüber. Ich hörte ihn an der Vitrine herumhantieren. »Das wäre … wie sagt man noch? Sittenwidrig? Und grausam – mir gegenüber. Wenn ich diese Leckerbissen den ganzen Tag riechen müsste, ohne davon kosten zu dürfen. Unmenschlich wäre das. Die reine Folter!«
Ich verdrehte die Augen, aber insgeheim fühlte ich mich geschmeichelt. Schließlich war es ganz schön, einen Chef zu haben, dem meine Kreationen schmeckten. Im Laufe der Jahre hatte ich die verschiedensten Vorgesetzten erlebt: Dem einen verwendete ich zu viel Butter, dem anderen zu wenig; einer – ein fürchterlich behaarter Typ – versuchte andauernd, mich in der Kühlkammer zu begrapschen, und eine Frau probierte in den zwei Jahren, in denen ich für sie arbeitete, zwar kein einziges meiner Rezepte, feuerte mich aber sofort, als ich um eine Lohnerhöhung bat. Und ausgerechnet jetzt, wo ich endlich meinen Traumchef gefunden hatte, der mir in der Küche völlig freie Hand ließ und von meinem Backwerk gar nicht genug bekommen konnte, wollte ich kündigen? Zum ersten Mal seit dem College hatte ich einen Job, bei dem ich hundert Prozent sicher war, auch im kommenden Monat – ja sogar noch länger! – die Miete zahlen zu können. Und ich Wahnsinnige würde freiwillig auf diese beruhigende Gewissheit verzichten. Ich presste die Finger gegen die Schläfen, um die drohenden Kopfschmerzen abzuwehren.
Aber da meldete sich eine innere Stimme, die sich verdächtig nach Becca anhörte. Seit wann war ich so auf Sicherheit fixiert? Seit wann war der Traum, mein eigener Chef zu sein, der Bequemlichkeit gewichen, für einen netten Boss zu arbeiten? Klar, meine Entscheidung hatte einen großen Haken: Julia. Aber was waren schon zehn Monate, in denen ich mich täglich mit Julia abgeben musste, gegen die Aussicht, danach stolze Besitzerin eines eigenen Cafés zu sein? Du hast sie ja nur bis Mai an der Backe.
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