Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Fernsehen kannte, oder schlüpfte in eine der vielen Rollen, die ich mit Hingabe einstudierte. Ach, Lucia, seufzte ich dann in Lollys exaltiertem Tonfall, was soll ohne Ballett aus deinem Mädchen werden? Du willst doch auch, dass Annie zu ihrer Mitte findet? Und wenn es mir mit Slapstick nicht gelang, meine Mutter aufzuheitern, bat ich sie einfach, mir etwas Süßes zu backen. Dann hockten wir wenig später im Schneidersitz auf dem Küchenboden und leckten Schüsseln und Löffel sauber.
Meine Mutter sprach nur selten von ihrer Familie. Ich nahm an, dass wenn sie nicht gern über ihre Eltern redete, es wohl seine Gründe hatte. Meine Großmutter, so viel reimte ich mir aus verschiedenen Andeutungen zusammen, war eine steife, strenggläubige Frau, die ihren Haushalt wie eine Kaserne führte; wer sich nicht an die Regeln hielt, wurde unehrenhaft entlassen. Für mich war es unfassbar, wie man Blutsverwandtschaften so mir nichts, dir nichts aufgeben konnte, aber wenn die eigene Familie nur aus einem einzigen Menschen bestand, kam einem selbst ein kleiner Streit wie eine große Katastrophe vor. Die wenigen Male, bei denen ich meine Mutter nach meinem Vater fragte, wirkte sie so nervös, dass ich es irgendwann aufgab. Darüber reden wir, wenn du erwachsen bist, mi monita bonita, sagte sie dann immer und wischte sich dabei die Hände an der Schürze ab. Mein hübsches kleines Äffchen. Bald stellte ich mir eine Art Schatzkiste mit lebenswichtigen Informationen vor, die ich an meinem achtzehnten Geburtstag würde öffnen dürfen, wie eine Braut, die ihre Aussteuer auspackt und ein neues Leben voller Schönheit und Anmut beginnt. Dass meine Mutter sterben könnte, bevor wir unser »Erwachsenengespräch« führten, und damit all diese brennenden Fragen unbeantwortet bleiben würden, kam mir nie in den Sinn.
Und so riss mich die Musik, die so unschuldig im Radio dahinplätscherte, in einen dunklen, gefährlichen Strudel. Doch kurz bevor ich ganz in der Vergangenheit versinken und in der Tiefe nach Antworten graben konnte, griff die Gegenwart wieder nach mir.
»Also«, sagte ich zu Jake Logan und hob den Blick von meinem Burrito. »Was hast du in den letzten Jahren so getrieben?«
»Na gut, dann krame ich mal meinen Lebenslauf raus. Nach dem College habe ich ein paar Jahre in New York gearbeitet, im Finanzsektor, aber irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten. Auch wenn’s peinlich ist, aber es war wohl die typische Quarterlife-Crisis. Die Art von Depression, nach der die meisten nochmal so was Bodenständiges wie Jura oder Wirtschaft studieren.«
»Aber du nicht?«
»Nö. Da kann man sich ja gleich schon mal einen Therapeuten für die Midlife-Crisis suchen. Ich bin lieber nach San Francisco zurückgezogen. Seitdem gehe ich viel surfen und versuche, mein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.«
»Aha … und das ist jetzt dein Leben?«, sagte ich. »Du bist unter die Surferboys gegangen?« Offen gestanden, hatte ich große Mühe, die Frage nicht sarkastisch klingen zu lassen. Da hielt ich mich jahrelang mit Niedriglohnjobs über Wasser und führte in den wenigen Stunden, die ich nicht in irgendwelchen Backstuben verbrachte, auch noch die Köter anderer Leute aus, um die Miete für meine Einzimmerwohnung bezahlen zu können, und dieser Typ ging währenddessen einfach surfen? Enttäuscht stellte ich fest, dass wir nichts, aber auch gar nichts gemeinsam hatten.
Jake lachte. »Wenn ich ehrlich bin, ja. Ich surfe ganz schön viel. Aber wenn man stundenlang draußen auf dem Meer ist und zurück aufs Land schaut, rückt das vieles im Kopf zurecht. Ich habe gerade erst vor kurzem beschlossen, ein Surf-Camp für benachteiligte Kinder zu gründen. Die bürokratischen Dinge muss ich noch klären, aber ich habe in Costa Rica schon das Grundstück dafür gekauft. Über Stipendien sollen die Kids dann Gelegenheit bekommen, mal aus der Betonwüste rauszukommen und echte Natur zu erleben. Wenn es mir geholfen hat, den ganzen Tag im Wasser zu sein, dann bringt es ihnen vielleicht auch was.«
Ich holte tief Luft. »Ach herrje«, sagte ich. »So einer bist du also.«
»So einer?«
»Einer von denen, die in die Welt hinausgehen und Gutes tun.«
Wie Schauspieler, die den wirksamsten Moment für ihren großen Auftritt kennen, kamen Jakes Grübchen zum Vorschein. »Denkst du jetzt schlechter von mir?«
»Ein bisschen.«
Wir lächelten uns an. In Jakes Augenwinkeln zeigten sich winzige Fältchen, und plötzlich konnte ich mir
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