Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
und unwiderstehliche Grübchen mich nicht mehr ablenken konnten, fiel es mir leichter, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Jake Logan , sagte ich mir, während ich den Teig zu perfekten Halbmonden formte, verkörpert genau die Welt, die du in der Schule gehasst und seither wie die Pest gemieden hast . Dabei hatte ich keine Ahnung, was Jake in den sechs Jahren seit seinem Abschluss gemacht hatte. Vielleicht ist er Sozialarbeiter , dachte ich hoffnungsvoll. Oder Assistenzarzt in einer Kinderklinik! Er war eindeutig der Typ Mann, der nie erwachsen wird; bestimmt konnte er gut mit Kindern. Das hätte auch erklärt, warum er zu einer Zeit, wo andere arbeiteten, im Freizeitlook durch die Stadt spazierte. Oder er treibt sich einfach den ganzen Tag herum und benutzt Hundertdollarscheine als Untersetzer für seine Scotchgläser. Das, so musste ich mir eingestehen, schien mindestens genauso plausibel.
Als ich mit allem fertig war, besprach ich mit Lorena, was sie noch bis Feierabend zu tun hatte, hängte meine Schürze an einen Haken neben der Küchentür und inspizierte mich kurz in dem großen Spiegel, den Ernesto auf der Innenseite der Toilettentür angebracht hatte. Ganz unzufrieden war ich mit dem Anblick nicht. Meine dunklen Wuschelhaare waren straff zurückgebunden, und ich trug ein dünnes schwarzes T-Shirt und eine Jeans, die meine Rundungen betonte – die ideale Hüfte für Küchenriegen, nicht zum Kinderkriegen, witzelte ich manchmal. Klein, wie ich war, hatte ich vielleicht fünf oder auch sieben Kilo zu viel auf den Rippen (wer wollte das schon so genau wissen?), aber durch diese Extrapfunde konnte ich eigentlich ganz gut punkten, was Busen und Hintern anging. Außerdem weiß jedes Kind, dass eine dünne Bäckerin verdächtig ist. Und ich wollte schließlich vertrauensvoll wirken.
Ich dankte der lieben Fee, die mir am Morgen aus irgendeinem Grund eingegeben hatte, vor der Arbeit noch schnell etwas Abdeckcreme über meine Augenringe zu tupfen und Mascara aufzulegen. An manchen Tagen sah ich am Ende meiner Schicht wie eine wandelnde Leiche aus; doch wie durch ein Wunder war es an diesem Nachmittag nicht ganz so schlimm.
»Viel Spaß«, sagte Carlos laut und vernehmlich, als ich die Tür zum Café öffnete. Lorena kicherte.
Ich tat, als hätte ich nichts gehört. Halb rechnete ich damit, dass Jake schon gegangen war, aber er lehnte immer noch am Fenster, den Blick auf sein Telefon geheftet. Da ich mich in Ernestos Gegenwart gehemmt fühlte, schlug ich vor, in eine Taqueria in der Nähe zu gehen, in der es riesige Burritos und starken Kaffee gab.
»Für Burritos bin ich immer zu haben«, sagte Jake und hielt mir die Tür auf.
Im El Farolito setzten wir uns an einen winzigen knallgelben Tisch und träufelten uns abwechselnd Chilisoße über unsere Teller. Währenddessen erklang dominikanische Merengue-Musik aus den Lautsprechern über unseren Köpfen, so fluffig und leicht wie die süßen Meringues, nach denen sie benannt worden war. Der Moderator, der sich zwischendurch zu Wort meldete, war immer noch derselbe wie in meiner Kindheit. Diesen Sender hatte meine Mutter jeden Morgen gehört, wenn wir nach dem Aufstehen durch die Wohnung wuselten und uns für den Tag fertig machten. Wie ihre bestickten türkis- und orangefarbenen Blusen oder die handgestrickte Wolljacke mit Reißverschluss und lila Zickzackmuster gehörte Merengue-Musik zu den Andenken aus Ecuador, die Mom auch noch nach vielen Jahren heiß und innig liebte. Die Musik, die bei uns in der Remise lief, und die Klänge, die uns in der Villa der St. Clairs entgegenschlugen, hätten nicht gegensätzlicher sein können: Dort wehte schon frühmorgens klassische Musik durch die Küche bis hinaus auf den Vorplatz. Mir gefiel eigentlich beides. Sobald Lolly und Tad das Haus verließen, stellte meine Mutter einen Sender mit lateinamerikanischer Musik ein. Manchmal erwischte ich sie dabei, wie sie mit halbgeschlossenen Augen an der Spüle stand und sich zu den schmachtenden Gitarrenakkorden eines ecuadorianischen Pasillo hin- und herwiegte. In solchen Momenten bekam ich eine Ahnung davon, wie tief und dunkel der Ozean des Heimwehs in ihrem Herzen sein musste.
Wenn ich meine Mutter wehmütig werden sah, oder auch dann, wenn sie sich meiner Meinung nach zu viel mit Julia beschäftigte (was natürlich ihr Job war, aber wer das einem eigensinnigen Kind erklären will, kann einem leidtun), watschelte ich gegen den Türpfosten wie die Komiker, die ich aus dem
Weitere Kostenlose Bücher