Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Zeit, in der mir mein Leben unfassbar leicht und glücklich erschienen war. Das war auch der Grund, warum ich ihn angerufen hatte. Wäre das Leben doch nur so unbeschwert weitergegangen wie damals, als wir das Traumpaar der Schule waren.
Natürlich hatte es die Devon Prep nicht jedem so leicht gemacht wie mir. Kaum hatte ich am ersten Tag das Schulgebäude betreten, ahnte ich, dass Annie es in den folgenden zwei Jahren sehr schwer haben würde. Es war eine kleine Schule, und ich kannte schon fast alle unserer Mitschülerinnen von irgendwelchen Reit- und Ballettstunden, Skikursen und Tanznachmittagen. Doch obwohl ich von vertrauten Gesichtern umgeben war, begann mit diesem Schritt über die Schwelle der Schule eine neue Phase in meinem Leben. Ich ging unwillkürlich langsamer und sah mir alle genau an: die Mädchen, die die karierten Röcke unserer Schuluniform gerade so hoch gegürtet hatten, dass man einige Zentimeter ihrer glatten Oberschenkel sah, und die Jungs mit ihren lässig gelockerten Krawatten und den zu kurzen Spikes gegelten Haaren. Ich fühlte mich wie unter Strom gesetzt und zugleich vollkommen wohl in meiner Haut – kurzum, ich war absolut in meinem Element. Noch am selben Nachmittag überredete ich meine Mutter, mit mir zum Union Square zu fahren, wo wir Stunden damit zubrachten, den perfekten Mantel zu suchen. Am nächsten Morgen befingerten meine Klassenkameradinnen mit angehaltenem Atem und vor Neid geweiteten Augen die silbernen Knebelknöpfe meines himmelblauen Dufflecoats. Eine Woche später kamen zwei Mädchen mit einem identischen Modell in Elfenbein und Camel an, auch wenn sie natürlich hoch und heilig schworen, sie hätten nicht bemerkt, dass es sich um den gleichen Mantel handelte. Mir konnte es egal sein, denn ich trug mittlerweile ein schwarzes Kaschmir-Cape, auf dem die riesige tahitianische Perlenbrosche meiner Großmutter prangte. Dagegen hatte keine eine Chance.
Rückblickend wurde mir klar, dass es relativ leicht gewesen wäre, Annie beim Aushandeln der Rangordnung einen Platz an meiner Seite zu verschaffen. Und vielleicht hätte ich das auch getan, aber ehrlich gesagt schienen die ungeschriebenen Gesetze an der Devon Prep Annie bis zum Schluss überhaupt nicht zu kratzen; sie blieb die ganzen zwei Jahre lang so unbekümmert, witzig und furchtlos wie eh und je, während wir anderen krampfhaft versuchten, unsere Rollen zu spielen. Hätte sich die Gelegenheit dazu ergeben, hätte ich sofort zugegeben, dass ich die Bestätigung durch eine echte Freundin brauchte wie eine Biene den Nektar, aber Annie? Annie war so unabhängig, und gleichzeitig hatte sie ein so enges Verhältnis zu ihrer Mom. Sie brauchte mich nicht.
Passend zu meinem mentalen Ausflug in die Vergangenheit dröhnte plötzlich Will Smiths »Gettin’ Jiggy wit It« durch die Bar. Ich sah Jake an und lachte.
»Ach du meine Güte«, sagte ich. »Sind wir wieder in den Neunzigern?«
»Schön wär’s«, sagte Jake augenzwinkernd. Dieser Song war in unserem Abschlussjahr an der Devon Prep im Radio rauf- und runtergelaufen – zu der Zeit, wo Jake und ich zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Er war der erste Junge, mit dem ich Sex gehabt hatte, und er hatte von mir das Gleiche behauptet, auch wenn ich schon damals nicht so dumm gewesen war, ihm zu vertrauen, was Bettgeschichten anging.
Bevor ich überhaupt registriert hatte, dass mein Glas leer war, hatte Jake sich auch schon wieder auf den Weg zur Bar gemacht. Ich schrieb meiner Mutter schnell eine SMS, dass mir unterwegs etwas dazwischengekommen sei und ich es doch nicht zum Fotografen schaffen würde. Dass ich ihr per SMS absagte, würde zwar noch Öl ins Feuer gießen, aber ich fühlte mich schon ein bisschen zu beduselt, um ihr mündlich Bescheid zu geben.
Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war eine Runde Tequila – die dritte ? – zu den Klängen von ›N Syncs »I Want You Back«, für das Jake die Jukebox extra mit einer Handvoll Münzen gefüttert hatte. Draußen dämmerte es bereits, doch in der Bar war das Licht noch nicht angeschaltet, so dass alles angenehm verschwommen wirkte, als würde man durch ein altes Butzenscheibenfenster schauen. Nachdem wir den Tequila heruntergekippt hatten, wischte Jake mir einen Tropfen Schnaps von der Lippe. Dann beugte er sich zu mir vor wie zu einem Kuss, und ich stieß ihn kopfschüttelnd weg und lachte. Durch den Alkohol war mir ganz schwindlig im Kopf; mein Herz fühlte sich größer und weiter an, als
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