Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
erwiderte Ogden nur. Er legte sich die Hände ins Kreuz und dehnte sich ausgiebig. Als seine Wirbelsäule knackte, stoben aus dem Baum, unter dem wir standen, zwei kleine Vögel auf. »Aber ich bin froh zu hören, dass das Ganze nicht nur ein netter Zeitvertreib werden soll.«
Der Sinn und Zweck unseres Ausflugs war also nicht, mir die Farm und ihre Produkte schmackhaft zu machen, sondern mich auf Herz und Nieren zu prüfen. Eigentlich hatte ich nichts gegen komische Käuze – ich fiel ja selbst oft genug aus dem Rahmen –, aber dieser Typ wurde sogar mir zu viel. »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir zurückfahren«, sagte ich.
»Noch nicht ganz«, sagte Ogden. »Ich muss erst zu Ende erzählen, was ich in den letzten fünf Jahren alles getan habe, seit meine Mutter mir die Farm übergeben hat. Die Kunst des biologisch-dynamischen Anbaus liegt nämlich darin, die wissenschaftliche und die spirituelle Ebene miteinander zu verschmelzen.«
»Ich habe deine Homepage gelesen, Ogden«, wehrte ich ab. »Ich kann dir versichern, dass deine Ausführungen dort … ausführlich genug sind.«
Auf dem Weg zurück zum Wagen konnte ich zum ersten Mal, seit Ogden mich in der Stadt abgeholt hatte, ungestört meinen Gedanken nachhängen. Ein sanftes Lüftchen wehte durch das Laub der Obstbäume. Eine Libelle kam geräuschlos angeschwirrt und schwebte einen Augenblick lang neben mir her. Meine Haut wurde von der Sonne angenehm gewärmt und allmählich verflog mein größter Ärger. Als wir uns dem Pick-up näherten, sah ich eine ältere Frau auf den Stufen zur Veranda des Farmhauses sitzen. Sie trug einen marineblauen, bodenlangen Hippie-Rock, ein weißes T-Shirt und eine Halskette aus gelben Glasperlen. Ihre langen grauen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Nachdem sie aufgestanden war, um uns lächelnd zuzuwinken, erkannte ich an der lustig gekrümmten Nase und ihren munteren hellbraunen Augen, dass sie Ogdens Mutter sein musste.
»Sie sind sicher Miss Quintana«, sagte sie und küsste mich auf die Wange. »Ich bin Louise Gertzwell.« Ihre pergamentene Haut fühlte sich weich und warm an, wie Cupcake-Papier, das erst wenige Minuten auf dem Abkühlgitter steht. »Seit Ogden mir von Ihrem Café erzählt hat, freue ich mich darauf, Sie kennenzulernen. Gertzwell-Früchte in Cupcakes!«, rief sie entzückt aus und klatschte dabei in die Hände. »Ist das nicht wunderbar?«
»Oh ja«, erwiderte ich. »Ganz wunderbar.« Dabei grinste ich Ogden sarkastisch an. Er wurde rot. Man konnte es dieser liebenswürdigen, cupcakepapiergesichtigen Frau schwerlich zum Vorwurf machen, dass ihr Sohn ein Idiot war. Ich drehte mich wieder zu Louise um. »Sagen Sie doch bitte Annie zu mir. Wir haben gerade eine kleine Runde durch Ihre Obsthaine gedreht. Es ist noch viel schöner hier, als ich gedacht hätte.« Aus dem Augenwinkel sah ich ein selbstzufriedenes Lächeln über Ogdens Gesicht huschen.
Louise blickte zwischen uns beiden hin und her. Sie seufzte. »Ach Ogden, mein Lieber, du hast Miss Quintana doch hoffentlich gesagt, dass es uns eine Ehre wäre, ihren Laden zu beliefern? Haben wir heute Morgen nicht lang und breit darüber gesprochen?«
Zu meiner Überraschung hörte ich Ogden gutmütig lachen. »Klar, haben wir. Es ist alles unter Kontrolle, Mom.« Er sah seine Mutter belustigt und voller Zuneigung an. An der Art, wie Louise ihn mit sanftem Tadel musterte und er diesem zarten Persönchen seinen massigen Körper zuwandte, wurde deutlich, dass sie nicht nur Mutter und Sohn, sondern auch Freunde waren. Ich stellte mir vor, wie innig das Verhältnis zwischen den beiden gewesen sein musste, als Ogden auf der Farm aufwuchs. Ihr zwangloser, liebevoller Umgangston erinnerte mich an meine eigene Kindheit, und plötzlich war das allzu vertraute Gefühl des Verlustes wieder da.
»Wissen Sie was, Louise?«, sagte ich. »Ich glaube, Ogden wollte mir gerade sagen, wie sehr er sich freuen würde, unser Cupcake-Café zu beliefern, aber im Überschwang unserer Begrüßung kam er nicht mehr dazu. Stimmt’s oder hab ich Recht, Ogden?«
Ogden sah mich an. In seinen Mundwinkeln zuckte ein leises Lächeln, und seine Antwort klang ruhig und ehrlich. »Stimmt. Ich denke, unsere Zusammenarbeit könnte durchaus fruchtbar für die Gertzwell Farm sein.«
»Na dann«, sagte ich. Mehr fiel mir erst einmal nicht ein, obwohl ich sonst nie um Worte verlegen war. Aber ich hatte ja vorgesorgt. Ich ging zum Wagen, stemmte die schwere Beifahrertür
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