Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Tattergreis, der alles durcheinanderbringt.«
Ich antwortete nichts, denn ich erinnerte mich sehr wohl an das Fest, aber nicht in einer Weise, die mich ins Schwärmen gebracht hätte.
Eigentlich war es Tradition in unserer Familie, das lange Wochenende zu Thanksgiving im Four-Seasons-Hotel auf Maui zu verbringen, doch aus irgendeinem Grund hatte meine Mutter in jenem Jahr beschlossen, dass wir zu Hause feiern sollten. Mir war unbegreiflich, warum wir mit dieser schönen Tradition brachen – der Trip war ideal, um mich kurz vor dem langen regnerischen Winter in San Francisco noch einmal von der Südseesonne bräunen zu lassen und meine blonden Haare auf natürliche Art aufzuhellen. Meine Mutter ließ sich jedoch nicht von ihrer fixen Idee abbringen, das Fest zur Abwechslung bei uns auszurichten, und sie lud Lucia, Annie und sogar Curtis dazu ein. Im Nachhinein betrachtet, hatte dieser Plan vielleicht etwas mit meinem und Annies Alter zu tun gehabt. Wir besuchten gerade die achte Klasse und lebten noch in der wohlbehüteten kleinen Welt unserer Mittelschule, doch schon bald sollten wir in die viel erwachsenere Umgebung der Devon Prep eintreten. Wer weiß, vielleicht hatte meine Mutter wahrsagerische Fähigkeiten und sah bereits voraus, dass die friedliche Eintracht unter unserem Dach nicht mehr lange Bestand haben würde. Zugetraut hätte ich es ihr.
So kam es, dass unsere seltsame kleine Sechserrunde fast den ganzen Tag zusammen in der Küche verbrachte. Im Mittelpunkt stand natürlich Lucia, die ein so dezidiert amerikanisches Menü aufgestellt hatte, als sei sie in Massachusetts und nicht in Ecuador aufgewachsen. Als ich nach dem Aufstehen ins Erdgeschoss ging, roch es bereits verführerisch nach Süßkartoffeln, Cranberrys, Truthahn und Pumpkin Pie. Ich hatte fest damit gerechnet, Lucia allein in der Küche anzutreffen, doch zu meiner Verblüffung saß meine Mutter auf einem Hocker vor der Kücheninsel, ein Glas eisgekühltes Wasser neben sich, und hackte vorsichtig Kräuter.
»Guten Morgen, mein Liebling«, sagte sie mit ihrer heiseren Stimme und winkte mit dem Messer durch die Luft. »Ist das nicht herrlich? Das Four Seasons könnte so einiges von unserer Lucia lernen – wenn ich sie denn hergeben würde!«
Lucia hatte ihre Haare im Nacken zu einem straffen Knoten gebunden; ihre dunklen Wangen brannten, und ihre Hände hasteten von einer Aufgabe zur nächsten. Wie immer, wenn sie zu einem besonderen Anlass kochte, steigerte sie sich in einen geradezu fiebrigen Rausch hinein. Dennoch sah sie glücklich aus. Die Flecken auf ihren Wangen hatten wohl eher mit dem Kompliment meiner Mutter zu tun als mit innerer Anspannung. Sie unterbrach ihre Arbeit kurz, um mich an sich zu drücken; ohne einen körperlichen Ausdruck der Zuneigung war eine Begrüßung oder ein Abschied für sie undenkbar. Da ich gerade einen Wachstumsschub hinter mir hatte, mussten wir unsere Umarmungen neu koordinieren, was dazu führte, dass Lucia ihr Kinn auf meine Schulter legte und mir ein Küsschen auf den Wangenknochen gab. Als sie mich losließ, deutete sie auf einen ganzen Turm von Gebäckstücken und eine riesige Kristallschüssel mit frisch geschnittenem Obst auf dem Küchentisch.
»Guten Morgen, mi amor «, sagte sie und hielt noch einen Moment lang Blickkontakt, bevor sie sich wieder dem Herd zuwandte. »Wenn du fertig gefrühstückt hast, gebe ich dir auch etwas zu tun. Deine erste Aufgabe wird sein, Annie zu wecken. Sonst schläft sie noch den ganzen Tag.«
Ich setzte mich in die Essecke, pickte müde an ein paar Melonenstücken herum und hörte mit halbem Ohr der Unterhaltung zwischen meiner Mutter und Lucia zu.
»Und wie geht es Mrs von Dreiden?«, fragte Lucia. Irgendwie hatte sie es geschafft, das Schneidebrett an sich zu nehmen, ohne dass meine Mutter sich davon irritieren ließ. Nun fuhr sie mit geräuschlosen, wiegenden Handbewegungen durch die grünen Stängel. »Ich habe in letzter Zeit nicht oft von ihr gehört.«
Ich horchte auf. Judith von Dreiden gehörte zum erweiterten Freundeskreis meiner Mutter, und ihre Tochter war einige Klassen unter mir. Ich fand es äußerst interessant mitzubekommen, was Erwachsene übereinander zu sagen hatten.
»Ach, ich habe Judith letzte Woche getroffen«, erzählte meine Mutter. »Sie hat mir die übliche Litanei vorgejammert – Erschöpfung, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie lang ihre Arzttermine erst sein müssen, wenn sie mir schon
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