Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
dieser Hinsicht furchtbar traurig. Traurig popaurig , hätte Becca wohl dazu gesagt. Julia war eben die geborene Geschäftsfrau. So weit, so bekannt. Ich wünschte mir nur, dass meine Mutter hätte sehen können, wie erfolgreich das Treat war. Und dass sich eines der Rezepte, die sie mit ins Grab genommen hatte, auf unserer Karte wiederfinden könnte. Kurzum, Julia und ich beschränkten unsere Gespräche auf gemeinsame Ziele, wie ein Elternpaar, das nur seinem Kind zuliebe zusammenbleibt. Außerdem , sagte ich mir immer wieder, ist es ja nur bis Mai. Bis dahin würde das Treat eine Stammkundschaft aufgebaut haben, und Julia würde mit Wes in den Sonnenuntergang reiten.
»Die Vanille-Schokoladen-Cupcakes sind jeden Tag ausverkauft«, stellte Julia bei unserer wöchentlichen Feierabend-Besprechung fest, nachdem sie einen Blick auf ihren Laptop geworfen hatte. Wir hatten uns auf die Barhocker am Fenster gesetzt, und ich sah gar nicht Julia selbst an, sondern ihr Spiegelbild in dem großen Fenster zur dunklen Straße. Ich strich mit den Fingerspitzen über die glänzende Redwood-Platte, auf der keine Spur des Graffitis mehr zu sehen war. Trotzdem hatte ich den Schriftzug noch so lebhaft vor Augen, als wäre er nie entfernt worden. IHR GEHÖRT NICHT HIERHER. Die gespenstisch leuchtenden Wörter tauchten immer dann an der Oberfläche des Tisches auf, wenn ich es am wenigsten erwartete, wie eine grausame Erinnerung an meine Schulzeit – eine Mischung aus Kritik, Warnung und Drohung.
»Also ein oder zwei Fuhren Vanille-Schoko-Cupcakes mehr«, sagte ich. »Alles klar.«
»Und wir sollten ankündigen, dass wir auch Hochzeiten beliefern. Wenn wir schwarze Zahlen schreiben wollen, können wir nicht immer nur ein, zwei oder auch zwölf Cupcakes auf einmal verkaufen. Wir müssen in Partys einsteigen.«
»Nichts lieber als das«, sagte ich.
Julia lächelte und zögerte dann einen Moment. »Ich habe ein paar neue Ideen«, sagte sie, »wenn du sie hören willst.«
»Schieß los.«
»Cupcake-Backpartys nach Büroschluss. Frauenabende, Junggesellinnenabschiede – solche Sachen. Das könnte ziemlich chaotisch werden, aber es bringt viel Geld. Und im Gegensatz zu Kindergeburtstagen würde es sich nicht mit unseren normalen Öffnungszeiten überschneiden.«
Ich überlegte, ob die Idee mit dem Junggesellinnenabschied eine versteckte Anspielung auf ihre eigene Hochzeit war. Man konnte leicht vergessen, dass Julia verlobt war. Sie sprach nie von ihrer bevorstehenden Hochzeit. Würde sie eine Junggesellinnenparty geben? Hatte sie Trauzeuginnen? Wenn sie in den letzten zehn Jahren überhaupt nur eine einzige Frauenfreundschaft geschlossen hatte, war mir diese Person jedenfalls noch nicht begegnet.
»Klingt gut«, sagte ich, ohne das Hochzeitsthema aufzugreifen. Doch Julia schien auch gar nicht zu erwarten, dass ich etwas dazu sagte. Sie nickte nur, tippte etwas in ihren Laptop – Die blöde Kuh will offenbar keine Junggesellinnenparty für mich schmeißen , vielleicht? – und las mir ihren nächsten Stichpunkt vor.
»Ein Cupcake-Lieferwagen. Mit Eis und Tacos geht das ja schließlich auch. Wir könnten in die Innenstadt fahren und uns zur Mittagszeit vor den großen Bürokomplexen platzieren. Wenn ich in einem dieser Gebäude arbeiten würde und in meiner Mittagspause einen Cupcake-Wagen vor der Nase hätte, würde ich jeden Tag einen essen.«
Ich zweifelte nicht daran, dass Julia problemlos mindestens einen Cupcake am Tag essen konnte, ohne auch nur ein Gramm zuzulegen. Diese Jogger . Die nervigste Bevölkerungsgruppe der Welt. Unser Meeting dauerte erst eine Viertelstunde, aber sie war bereits bei ihrem zweiten Schokoladen-Cupcake, den sie auf ihre langsame, disziplinierte, Julia-mäßige Art verspeiste. Ich hingegen hatte mich bislang auf einen Coffee-Cupcake beschränkt, wobei ich mir einredete, dass das Koffein meinen Stoffwechsel anregen würde, und tröstete mich nun mit kleinen Schlucken echten Kaffees, während sich Julia unbekümmert mit ihren von Lipgloss glänzenden Lippen über ihren zweiten Cupcake hermachte. Und trotzdem sahen ihre Beine in der engen Jeans wie Zahnstocher aus. Wenn ich so viele Cupcakes essen würde , dachte ich, würde ich sie irgendwann um die Hüften tragen wie einen genoppten Pistolenhalfter. Das Cupcake-Cowgirl. Wirklich keine Traumrolle.
»Ein Cupcake-Lieferwagen. Genial«, sagte ich. »Ich befürchte nur, dass es hier im Laden noch genug zu tun gibt. Wir haben erst seit ein paar Wochen
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