Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Stirn gezogen, dass sein Gesicht im Schatten lag. Die Hände hatte er in die Pullitaschen gesteckt. Er machte einige Schritte auf uns zu und zog dabei langsam eine Hand aus der Tasche. Als ich zurückwich, wandte er mir ruckartig den Kopf zu und sah mir direkt in die Augen.
»Nicht … bewegen …«, sagte er mit rauer Stimme und einem deutlichen Akzent.
Da stieß Julia einen gellenden Schrei aus – keinen schrillen, mädchenhaften Hilferuf, sondern eher ein wütendes, aggressives Heulen. Der Mann stolperte ein Stück zurück und warf einen Blick über die Schulter. Ich starrte Julia verblüfft an, doch sie stand da wie gelähmt.
»Julia!«, bellte ich. »Schließ die Tür auf!«
Sie löste sich aus ihrer Erstarrung und entriegelte mit einer blitzschnellen Bewegung das Sicherheitsschloss. Wir stürzten im selben Moment in den Laden, in dem der Mann wieder näher kam. Julia warf die Tür zu, ließ das Schloss einschnappen und tippte in rasender Eile den Code ein, der die Alarmanlage ausschaltete.
»Scheiße!«, rief sie. »Es gibt einen Code, mit dem die Polizei verständigt wird, aber der fällt mir gerade nicht ein!«
»Schon okay«, sagte ich und holte mit zitternden Händen mein Handy aus der Tasche. »Es geht auch so.«
Während ich mit der Polizei sprach, starrten wir beide aus dem Fenster und waren darauf gefasst, den Mann jeden Moment dahinter auftauchen zu sehen. Nichts. Nach einer Weile ging Julia zum Fenster, drückte ihr Gesicht an die Scheibe und lugte in beide Richtungen die Straße hinunter.
»Ich glaube, er ist weg«, sagte sie seufzend und setzte sich auf einen Barhocker.
Ich blieb so lange am Telefon, bis die Polizei eine Viertelstunde später eintraf. Da wir bereits das Graffiti und die verkratzten Türen gemeldet hatten, erschienen dieses Mal nicht nur mehrere Polizisten, sondern auch ein Beamter der Kriminalpolizei.
»Inspector Ramirez«, stellte er sich mit ernster Miene vor, als er uns die Hand gab. Der altmodisch klingende Titel, auf den er offenbar sehr stolz war, stand in lustigem Kontrast zu seinem Äußeren. Ramirez war jung und recht korpulent; seine freundlichen dunklen Augen wirkten zwischen seinen Pausbacken und der glatten braunen Stirn wie eingequetscht. Ich dachte unwillkürlich an ein kleines Kind, das Räuber und Gendarm spielt. Wir erklärten, was passiert war, und berichteten dabei auch von unserer ersten Begegnung mit dem Mann ein paar Wochen zuvor.
»Ich werde meine Leute hier öfter auf Streife schicken und ihnen sagen, dass sie auf alles achten sollen, was irgendwie auffällig oder verdächtig wirkt«, sagte er. Es schien ihm unangenehm zu sein, Julia direkt anzusehen, denn er wandte sich vor allem an mich. »Wir haben Ihre Beschreibung des Mannes aufgenommen, aber wir können ihm nur schwer etwas beweisen, da Sie nicht bezeugen können, dass er tatsächlich eine Waffe hatte. Ich fürchte, für eine Verhaftung haben wir nicht genug gegen ihn in der Hand.«
»Soll das heißen, dass Sie nichts tun können?«, fragte Julia. Ihre Stimme klang angespannt. Instinktiv legte ich ihr die Hand auf die Schulter. Sie warf mir einen überraschten, dankbaren Blick zu.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Seit der Eröffnungsparty war mir der Typ nämlich ein paarmal im Viertel über den Weg gelaufen. Einmal hatte ich ihn beim Aufschließen meiner Haustür an der nächsten Straßenecke stehen sehen, als mich Julia nach einem langen Tag im Laden vor meiner Wohnung abgesetzt hatte. Ein andermal war ich ihm am helllichten Tag begegnet, als ich zur Mittagszeit das Café verließ, um für mich und das Team Tacos aus einem nahe gelegenen Restaurant zu holen. Er saß auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf einer Haustreppe, und unsere Blicke trafen sich kurz, bevor ich erschrocken den Kopf senkte. Als ich mich nach mehreren Hundert Metern traute, nachzusehen, war er verschwunden. Ich hatte Julia nichts von diesen Vorfällen erzählt, um sie nicht unnötig zu beunruhigen – zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch nicht, dass der Mann irgendetwas mit dem Graffiti zu tun hatte. Und hatten wir uns in der Nacht der Eröffnungsparty nicht einfach von dem Anblick eines unbekannten Mannes in einer dunklen Ecke ängstigen lassen, wie es Frauen in menschenleeren Straßen eben manchmal passiert? Reichte diese unheimliche Begegnung schon aus, um dem Typen üble Absichten zu unterstellen? Ich redete mir ein, dass die ganze Sache ein Missverständnis war. Der Mann wohnte irgendwo in der
Weitere Kostenlose Bücher