Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Nachbarschaft; dass er uns verfolgte oder gar bedrohte, bildeten wir uns nur ein.
Aber nachdem er uns vorhin so schroff und einschüchternd angegangen war, die Hände in seinem Sweatshirt vergraben, als hielte er dort etwas versteckt, konnte ich nicht länger leugnen, dass er eine wirkliche Bedrohung für uns darstellte.
»Ich habe ihn in letzter Zeit ab und zu gesehen«, gestand ich Julia und Ramirez. »Ich glaube, er hing ziemlich oft vor dem Laden herum.« Julia starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Ich bin davon ausgegangen, dass er hier in der Nähe wohnt«, sagte ich leise zu ihr. »Wir können nichts beweisen. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«
»Ich muss Miss Quintana leider Recht geben«, sagte Ramirez. »Wir wissen nicht, was dieser Kerl im Sinn hat. Nichtsdestotrotz können Sie selbst einige Vorkehrungen treffen, um sich zu schützen. Gehen Sie nach Ladenschluss nicht allein auf die Straße. Lassen Sie sich immer von einer Person Ihres Vertrauens begleiten.« Obwohl mir nicht nach Lachen zumute war, musste ich über diesen Rat grinsen. Er erinnerte mich an das Buddy-Prinzip, das Julia und ich schon in der Grundschule perfektioniert hatten. »Erzählen Sie Ihren Angestellten von den Vorfällen«, fuhr Inspector Ramirez fort. »Bleiben Sie wachsam. Tragen Sie Pfefferspray bei sich. Haben Sie immer Ihr Mobiltelefon dabei. Rufen Sie uns an, wenn Sie ihn wiedersehen oder wenn sonst irgendetwas passiert. Nutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand.«
Ich unterdrückte ein Prusten. Ramirez’ Belehrungen klangen wie Lautsprecherdurchsagen zur Verhinderung einer Massenpanik. Julia sah mich scharf an.
»Nimm das gefälligst ernst«, sagte sie.
»Das tue ich doch«, sagte ich mit ausdrucksloser Miene. »Und ich werde meinen gesunden Menschenverstand im Rahmen aller rechtlichen Möglichkeiten einsetzen.«
Diesmal war es Inspector Ramirez, der mich scharf ansah. »Nehmen Sie die Sache auf keinen Fall selbst in die Hand. Das wäre das Schlimmste, was Sie tun können. Lassen Sie sich von diesem Kerl nicht provozieren. Wenn Sie ihn noch einmal sehen, rufen Sie sofort die Polizei. Oder«, er nahm eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und reichte sie mir, »rufen Sie mich direkt an.«
Seufzend nahm ich die Karte entgegen. »Keine Sorge, das habe ich nicht gemeint. Ich kann Gewalt gar nicht mit ansehen. Ich musste sogar bei Bambi wegschauen!«
Julia verdrehte die Augen und sagte zu Ramirez: »Vielen Dank. Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns zu meinem Wagen zu begleiten?«
Wir gingen noch einmal das ganze Programm von vorne durch – Lichter ausschalten, Alarmanlage aktivieren, Sicherheitsschloss einrasten lassen. Inzwischen war es elf Uhr nachts, und bis auf einige wenige Autos, die an uns vorbeifuhren, war es ruhig auf der Straße. Unter der Straßenlampe an der Ecke standen dicht zusammengedrängt ein paar Männer, doch keiner von ihnen hatte die stämmige Statur unseres Verfolgers. Verfolger . Wir hatten jetzt also einen Stalker. Na toll. Inspector Ramirez begleitete uns wie besprochen zu Julias Auto und wartete auf dem Gehweg, bis wir die Türen verriegelt hatten und losfuhren. Julia umklammerte das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Alles wird gut«, tröstete ich sie. »Den sehen wir nicht wieder. Dein Urwaldjägerinnen-Schrei hat ihm bestimmt eine Heidenangst gemacht.«
Julia gluckste. »War ich das? Ich dachte, du wärst das gewesen!«
»Ich? Spinnst du? Ich kreische wie ein kleines Mädchen. Du brüllst wie ein Wrestler beim Schaukampf. Ich dachte, du ringst den Kerl gleich zu Boden.«
Ihre Hände entspannten sich etwas. »Was will er denn bloß von uns? Alles andere läuft doch so gut. Ich komme so gerne morgens in den Laden. Und ich bin richtig glücklich, wenn ich den ganzen Tag im Treat verbringe. Wirklich, so gut ist es mir schon … seit langer Zeit nicht mehr gegangen. Und jetzt macht dieser Typ alles kaputt.«
Das war das erste Mal, dass ich Julia offen über ihre Gefühle sprechen hörte. In ihrer Stimme schwang jene Traurigkeit mit, die ich schon ein paar Monate zuvor erahnt hatte, als sie bei der Benefizparty ihrer Mutter nur mühsam ihre Fassade aufrechterhalten hatte. Ich verspürte das starke – schwesterliche? – Bedürfnis, sie für dieses Eingeständnis ihrer Verwundbarkeit zu belohnen und ihr zu zeigen, dass sie nicht allein war. Vielleicht hatte Becca doch Recht. Vielleicht hatten die Dinge, die Julia und ich zusammen erlebt und
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