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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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ja mitgekriegt.« Dr. Frey sprach vom Tennisspielen in den beiden Frankfurter Klubs, die in sorgfältigem Abstand voneinander die streng geschiedenen Gruppierungen sportbegeisterter Bürgerlichkeit präsentierten. Stephan störte es bereits, daß Dr. Frey schon wußte, daß er im Palmengartenklub gewesen war, so leidenschaftslos er das Tennisspiel auch von Anfang an betrieben hatte. Die weißgekleideten Menschen vor dem Klubhaus, die Weinschorle und Zitronenlimonade tranken, waren ein freundlicher Anblick, und Stephan ging an Sommerabenden gern dorthin, um sich in seiner eierschalfarbenen Flanellhose neben eine Dame zu setzen, die außer Atem war von den Anstrengungen ihrer Partie und tief atmete, so daß sich ihr Busen unter dem grobgestrickten Pullover hob und senkte.
    Aber die Zurufe, die er dort hörte, blieben ihm fremd und auch ein wenig abstoßend. Er verabscheute die Spezialsprache, die im Umkreis des Tenniscourts herrschte, die künstliche Absurdität der Spiel- und Zählregeln und die Ausbildung der Beinmuskulatur bei den Frauen, die dem Tennisspiel in ernsthafter Beständigkeit oblagen. Aber der Wind, der die immer ein wenig feuchten Blättermassen der riesenhaften Kastanienbäume sanft modulierte und die Erinnerung an flüchtige Sommerregen beschwor, war noch immer verführerisch, als ihm Dr. Frey die Bilder des Frankfurter Palmengarten-Tennisklubs wieder ins Gedächtnis rief. Er war gar nicht erst ausgetreten, als sich die Korns aus Frankfurt nach New York aufgemacht hatten, weniger um den Klubvorstand zu düpieren, als um sich selbst die Endgültigkeit des Aufbruchs zu verbergen.
    Bei Dr. Frey hatte die Abreise aus Frankfurt anders ausgesehen. »Ich bin bewußt allein gegangen«, sagte Dr. Frey, der zufrieden |383| war, daß sich in Stephans Gesicht bei der Nennung der Chiffren »Rot-Weiß« und »Palmengarten« etwas bewegt hatte. »Den alten Leuten werden sie nichts tun, das sagt einem jeder. Natürlich würde ich gern mal etwas von ihnen hören, aber Sie finden es doch sicher auch nicht klug, wenn ich von hier aus schreibe? Das ist doch gewiß nicht gut, wenn die beiden auf einmal vom Ausland Post bekommen? Das wird doch kontrolliert, meinen Sie nicht?«
    Es dauerte noch lange, bis Stephan verstand, was aus diesen und den noch folgenden Fragen Dr. Freys sprach. Wovor fürchtete sich Stephan? Hatte er schon jemals in seinem Leben Angst gehabt? Frey sprach gar nicht über die Empfindungen der Furcht oder der Angst, aber er insistierte mit seinen Fragen in einer Weise, die unvernünftig war, denn er hätte sich denken können, daß er so in einer solchen Zeit nichts herausbekommen würde. Stephan wurde nachgerade zornig auf seine Frankfurter Bekanntschaft, als ob er mit seinem unauffälligen Abschied von Frankfurt das Recht erkauft hätte, niemals wieder etwas von Sorgen und Beschwernissen aus diesem Teil der Welt hören zu müssen. Er war taktvoll gewesen und hatte den Frankfurtern die Peinlichkeit erspart, eindeutig Stellung beziehen zu müssen, und damit war dies Kapitel in seinem Leben geschlossen. Ein anderes öffnete sich nun: ein windstilles, honigreiches, wortloses, ein Kapitel, das weder mit Florence noch mit Willy, weder mit New York noch mit Frankfurt in näherem Zusammenhang stand. Frey hätte sich in diesen Tagen keinen ungünstigeren Geburtsort auf der Welt aussuchen können als Frankfurt, um Stephan so sehr zu mißfallen, daß sich dessen Ohren für jedes noch so billige Anliegen verschließen mußten.
    Frey sprach dabei inzwischen gar nicht mehr über Frankfurt. Seine Schilderungen bewegten sich in dem verwirrenden Auf und Ab eines Flüchtlingsschicksals. Sie waren von den vergeblichen Mühen gekennzeichnet, eine Art Ordnung in die sinnlose Flut zu tragen, deren Unabsehbarkeit dem verlorenen Menschen den Verstand zu rauben drohte. Die Ortswechsel, das ewige Warten vor Bahnstationen, Dienstzimmern, Konsulaten, Polizeibehörden, |384| der bedrückende Mangel an Geld, die Unmöglichkeit, Arbeit und Unterhalt zu finden, die täglich von neuem unsichere Lage, vor allem aber die Gerüchte, die an die Stelle überprüfbarer Informationen getreten waren, verschmolzen zu einem formlosen Brei, der Stephans Augen, Ohren und Mund verklebte. Er nahm so gut wie nichts von den Irrwegen des Dr. Frey auf, der die Freiheit zum Ziel hatte, zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber fürchten mußte, auf den verschlungensten Pfaden unter restloser Erschöpfung seiner Nervenkräfte nicht mehr erreicht zu haben als

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