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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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nach, woher er diese Stimme kannte, Assoziationen tauchten auf, ließen sich aber nicht festhalten. Seine Gewißheit, daß die Art, in der Dr. Frey sich jetzt benahm, ihn an etwas ganz Bestimmtes erinnerte, nahm dabei noch zu. Plötzlich aber sah Stephan das Bild des Dinter, Heinz wieder vor sich und hörte ihn wohlgemut perorieren, und es kam ihm vor, als habe sich Dr. Frey in anderer Gestalt bereits in seine Erinnerungen eingeschlichen.
    Der Dinter, Heinz glich körperlich dem Dr. Frey in keiner Weise. Er war lang und hatte kräftige, grobe Knochen und fettes, dickes blondes Haar, das Gesicht war teigig, er sah aus wie ein Nachtkellner und ließ sich von einem schmutzigen, aggressiven Köter begleiten, der wohl auch Blut von einem Schäferhund mitbekommen hatte. Der Dinter, Heinz war Stephans Schulkamerad auf dem Gymnasium gewesen, das er wegen unbedeutender Verfehlungen, die in seinem frühentwickelten Händlergeist wurzelten, nach den ersten Klassen wieder verlassen mußte. Dann hatte er sich als Kommis im väterlichen Pelzgeschäft herumgedrückt, und die ehemaligen Klassenkameraden begegneten ihm ehrfurchtsvoll, weil er Billard spielte, weite Anzüge trug und mit einer Zigarette im Mund über seine komplizierten Verbindungen zu mehreren Damen eine lebemännische Klage führte. Seinen weiteren Lebensweg verfolgte Stephan nicht. Er sah den Dinter, Heinz jahrelang nicht mehr und fragte sich niemals, was aus ihm geworden sei. Über das Wiedersehen mit dem früheren |387| Mitschüler war Stephan erschrocken, denn der Dinter, Heinz hatte sich sehr verändert, und Stephan brauchte lange, bis er ihn überhaupt wiedererkannte, was der Dinter, Heinz ebensowenig zu bemerken schien wie die peinliche Betroffenheit, die auf das mühsame Wiedererkennen folgte, während der Dinter dröhnende Reden führte, die man noch auf der anderen Straßenseite verstehen konnte. Die Begegnung fand vor einer kleinen Kneipe statt, unter einem Schild, auf dem »Kutscher und Chauffeure – halt!« stand und wo sich schon am Vormittag ein fideles Publikum versammelte.
    Es war kein Zweifel darüber möglich, daß Dinter zu den Stammgästen des Unternehmens gehörte. Kurz nachdem er die Türe geöffnet hatte, erschienen zwei nicht mehr ganz standfeste Männer im Türrahmen und forderten den konversierenden Heinz zur Rückkehr an den Tresen auf, was dieser aber gravitätisch zurückwies. Seine Laune war durch die Intervention seiner Freunde gestiegen. Er dachte nicht daran, Stephan gehen zu lassen, und fragte ihn akribisch über das Schicksal alter Klassenkameraden aus, von denen Stephan längst nichts mehr wissen wollte.
    »Na, und bist du noch so ein Schlimmer wie früher?« fragte der Dinter, Heinz und berührte jetzt sogar mit seiner blauroten Hand Stephans Mantelärmel. Stephan sah an ihm vorbei und sagte: »Aber hör mal, ich war doch kein Schlimmer.«
    »Hoho«, lachte der Dinter, Heinz, als stehe er vor einer großen Gemeinde. »Jetzt tu du mal nicht so unschuldig. Du warst ja einer der Schlimmsten. Aber du hast es eben hier gehabt.« Dabei tippte er sich mit schwarzem Fingernagel auf die Stirn. »Und deshalb konnten die nicht an dich ran«, rief er und ignorierte in der Begeisterung, die er den alten Erinnerungen schuldig zu sein glaubte, Stephans immer sichtbarer werdende Verlegenheit. »Du und der Karl-Heinz, ihr wart die Schlimmsten«, sagte der Dinter, Heinz, und Stephan tappte erneut in die Falle.
    »Karl-Heinz war doch gar keiner bei uns«, murmelte er und empfing sofort die Quittung für diesen Gesprächsbeitrag.
    »Und ob«, rief der Dinter, Heinz, »und ob der bei uns war. Jetzt tu mir aber mal nicht so, als ob du den Karl-Heinz vergessen |388| hättest, das darf ich ihm aber gar nicht sagen.«
    Stephan war überrascht, wie mühelos er diesem Wegelagerer wieder entkam, denn als er ohne die geringste Hoffnung, den Dinter, Heinz damit beeindrucken zu können, mit schwacher Stimme etwas von einer geschäftlichen Verabredung sagte, bemerkte er, wie der Trinker geradezu Haltung annahm und mit der leidenden Seriosität des überlasteten Großkaufmanns erklärte, nun auch seinerseits wieder seinen Geschäften nachgehen zu müssen. Damit reichte er Stephan seine klebrige Hand und ging eilig in das Wirtshaus zurück, wo ihn seine lärmenden Freunde bereits erwarteten.
    Was Stephan verblüffte, daß nämlich der Dinter den Ruf der Pflicht so beflissen hinnahm, lag eigentlich von Anfang an in seinem ganzen Verhalten begründet. Das

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