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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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die Frauen, die in diesen Häusern gewohnt hatten, sich für ihre Kleider gern die rosa und weißen Kirschblüten zum Vorbild nahmen und daß die Männer ihre Wohlhabenheit mit Schönheitssinn schmücken wollten.
    Die Blüten hatten immer noch die Macht, die Straßen weniger elend erscheinen zu lassen, und dennoch betrachtete Florence diese verrückte Lebensbekundung der Natur mit geheimem Grauen. Anders als die meisten Frauen ihres Milieus war sie keine Gartenfreundin. Ein Garten erfüllte sie nicht mit dem Wunsch, unablässig darin herumzuwerkeln, wie es die Frauen der Nachbarschaft taten, die man tagsüber mit ihren erdigen Gummihandschuhen und Rosenscheren und in leicht über Pflanzen gebeugter Haltung von der Straße aus beobachten konnte.
    Auf der Fahrt vom Flugplatz hatte für ihren Geschmack die Obstbaumblüte geradezu gefährliche Ausmaße angenommen. Der Himmel war dunkel, und unter ihm lag ein weißes Meer, das die Wellenformation der Landschaft lind mitvollzog und der Betrachterin |104| entgegenzuströmen drohte. Florence dachte an den Tod im Angesicht dieser hypertrophen Blumenwelt, die ihre unheimliche Kraft vielleicht nur daraus zog, daß sie auf Leichenbergen wuchs.
    Da sie in den Beschreibungen der Atomexplosionen gelesen hatte, ihnen folge in den weiter entfernten Gebieten die geisterhafte und tödliche Erscheinung warmen Schnees, erschrak sie, als ihr klar wurde, wie sehr die verletzlichen weißen Blüten, die ohne den beruhigenden Kontrast grüner Blätter austraten, solchem warmen Schnee glichen.
    Florence erlebte an sich, wie sehr wir in unserer Wahrnehmung das Opfer unserer Stimmungen sind, denn ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Gartenpflege allein konnte diese düstere Vision nicht hervorgerufen haben. Wie fremd wurde ihr die Welt. Sie wußte genau, daß die Obstbaumblüte von den meisten Menschen, die sie früher gekannt hatte, herbeigesehnt worden war. Man machte Ausflüge, um sich dieses Bild anzusehen, die Maler malten es, die Dichter schrieben in ihren Gedichten darüber und schilderten den Zauber, den die tausend Blüten für sie besaßen, in Versen, die den Leser glauben machten, seine eigenen Empfindungen beim Anblick eines blühenden Apfelbaums würden ausgedrückt, und sie wußte auch, daß sie sich früher noch manchmal von der allgemeinen Begeisterung hatte wegtragen lassen, und mußte sich jetzt sagen, daß sie ebenso weit davon entfernt war, diese wilde Blüte zu feiern, wie sie bereit gewesen wäre, das kraftvolle Wachstum der Krebsgeschwulst in Dr. Tirolers Körper zu bewundern.
    Später erzählte Florence ihrer Freundin, von der sie hoffte, daß sie ihr nun zuhören würde, warum sie nach Frankfurt gekommen sei und wo sie Stephan vermute. »Oh, bei dem alten Satansweib«, sagte Ines, die Agnes aus der Zeit kannte, in der sie die Köchin des Monsignore gewesen war. Ines pflegte die Überzeugung, daß Agnes den Priester in Limburg denunziert hatte – wer sonst als Agnes und sie selbst wußte schon, was sich gegen Kriegsende zugetragen hatte.
    Florence sah Ines verständnislos an. Sie rechnete diesen Ausruf |105| unter die Übertreibungen ihrer Freundin, in denen nicht immer ein wahrer Kern steckte und an denen in Hinsicht auf Agnes schon gar nichts sein konnte, denn Agnes war für sie ein analphabetischer Trampel, an dem ebenso viel Dämonisches war wie an einem Putzeimer. Sie erinnerte sich nicht an eine einzige Unterhaltung mit Agnes und sah immer nur ihren erloschenen Blick vor sich, der nichts wahrzunehmen schien. Agnes war wie eine Kartoffel, und wenn sie ein Gefühlsleben besitzen sollte, dann mußte es ähnlich rudimentär entwickelt sein wie jenes, das, den neuesten Behauptungen der Botaniker zufolge, die Pflanzen besaßen.
    Wie hätte auf Florence die Geschichte gewirkt, die Agnes ihrem Schützling Stephan, als er ihr beim Bügeln zusah, in der für sie bezeichnenden undramatischen Art erzählt hat? Stephan hörte anfangs so wenig zu wie jedesmal, wenn die Agnes zu ihm sprach, aber dann geschah es doch, daß er sein Buch sinken ließ und Agnes mit wachsendem Erstaunen ansah, als sie ihr letztes Wort gesprochen hatte, sogar mit Ehrfurcht und Schrecken.
    Damit eine Erzählung nicht nur unterhält, sondern darüber hinaus betroffen macht und unsere Sicherheit erschüttert, muß sie Elemente enthalten, die sie unmittelbar mit unserem alltäglichen Gedankenleben verbindet, so weit sie die Hörer sonst auch in die entrücktesten Regionen des Fiktiven entführen mag. Wie

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