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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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bemerkten mit einem Mal wieder ein gewisses Wohlwollen bei den Leuten des Dorfes. Nachdem der Angriff auf das Geld Konrads abgeschlagen |116| worden war, konnte sich der allgemeine Neid in das Schicksal der Agnes und ihrer Eltern wieder hineindenken.
    Der Vater sprach mit vielen im Dorf darüber, die auch fanden, es müsse alles wieder in Ordnung kommen. Es war an ihm zu handeln, erklärte er seinen Frauen, die ihn dabei fromm ansahen. Es werde schon darauf gewartet. Wenn wieder einmal für das ganze Dorf gebacken würde, dann sei es an der Zeit. Und dann kam die große Beerdigung eines alten Mannes, der mit dem ganzen Dorf verschwistert und verschwägert war. Alle Dillenhäuser versammelten sich auf seinem Hof und aßen von riesigen Blechen den Pflaumenkuchen, den die Frauen am Tag zuvor gebacken hatten. Agnes’ Mutter stand vor den Backblechen und schnitt den Kuchen. Agnes lief mit den Tellern auf und ab und verteilte sie.
    »Das ist für den Konrad«, sagte die Mutter schließlich und gab ihr ein großes Stück Pflaumenkuchen. Agnes zögerte, die Mutter sagte: »Los, du hast keinen Grund.« Als Agnes den Teller vor Konrad auf den Tisch stellte, fühlte sie, daß alle Augen der Trauergesellschaft auf sie gerichtet waren.
    »Das hat die Mutter gerade für dich geschnitten«, sagte Agnes laut und klar. Sie sah seine Verlegenheit und fand plötzlich, daß er ein wenig hübscher als die andern Buben war. Sie drehte sich um und ging weg, nachdem sie gesehen hatte, daß Konrad in seiner Ratlosigkeit zu essen angefangen hatte.
    Nachts wachten Konrads Eltern und der hungrige Knecht vom Schreien ihres Sohnes auf, der sich mit grünem Gesicht in seinem Bett wälzte und sagte, daß ihm der Bauch zerplatze. Damals gab es noch keinen Arzt in Dillenhausen, und als der Arzt des Nachbardorfes nach drei Stunden schließlich eintraf, war Konrad tot.
    Schon wenige Tage später fanden sich die Dorfbewohner also wieder zu Kaffee und Kuchen zusammen. Wer diesmal den Pflaumenkuchen aufschnitt, erzählte Agnes nicht mehr.
    Es gab nichts im Leben der Korns, was Stephan für die heimlichen Schrecken einer Blut-und-Boden-Romantik hätte empfänglich machen können. Jede Erinnerung an ein früheres |117| Landleben war in der Familie restlos ausgelöscht. Korns waren städtisch. Alle ihre Lebensgewohnheiten hingen mit Umständen zusammen, die sich nur in einer Stadt ergeben und die das soziale Gefüge einer Stadt zur Voraussetzung haben. Willy Korn fragte sich nie, welche Jahreszeiten welche Sorten von Gemüsen hervorbrachten. Eine Schale mit Walderdbeeren erinnerte ihn nicht an die Lichtung zwischen hohen Buchenstämmen an einem warmen Junitag. Vielmehr dachte er dabei an die Abendessen, bei denen es diese Erfrischung gab, als ob nicht der Kreislauf der Natur für das Vorhandensein von Walderdbeeren verantwortlich sei, sondern als ob sie zu ihrem Gedeihen den Nährboden eines sächsischen Porzellantellers und die parfum- und raucherfüllte Luft eines Eßzimmers nötig hätten.
    Indessen liebte er die Eselsbrücke, mit der er sich die Monate für den Genuß von Schalentieren merken konnte. Bis er zum erstenmal nach Amerika kam, verging kein September, ohne daß er genießerisch, wie es sich für eine solche Bemerkung gehörte, mitteilte: »Jetzt haben wir ja wieder die Monate mit dem ›r‹.« Später war auch diese letzte schwache Verbindung mit den Eigentümlichkeiten des Jahreskreises endgültig vergessen.
    Das war um so bemerkenswerter, als Willy Korn auf dem Lande geboren war. Das oberhessische Dorf, in dem er aufwuchs und in dem sein Vater mit Häuten handelte, hatte keine gepflasterten Straßen. Auf den Bächen schwammen in langer Reihe die Gänse von der Weide nach Hause, und an den Schlachttagen schrie in vielen Höfen ein Schwein um sein Leben. Dennoch war es, als sei Willy Korn erst mit seinem Umzug in die Stadt aus einem tiefen Schlaf erwacht, als sei er auf dem Land in einem Exil gewesen. Als er schließlich nach New York kam, wurde klar, daß Frankfurt auch nur eine Vorstufe zu seiner Vollendung als Städter gewesen war, die sich allerdings nicht ebenso mühelos abschütteln ließ wie das oberhessische Calden. Wie ein Künstler, dessen Genius sich von dem Einfluß seines Lehrers vollständig befreit hat, an kleinen Merkmalen der Handschrift immer noch seine Schule verrät, blieb Willy Korn besonders für seine Frau und seinen Sohn auch nach seiner bedingungslosen Adaptation |118| des New Yorker Stils ein unverwechselbarer

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