Das Bett
und ihn im Rheingau bei ein paar Flaschen Johannisberger auf Gedanken gebracht, von denen Agnes bald in den Hintergrund gedrängt worden wäre.
Ines war damals immer in den Rheingau gefahren, das war ihr bevorzugtes Ziel, und jeder Ort, der da an der Landstraße aufgereiht lag, hatte in ihrem Mund den Klang eines frivolen Andenkens.
Auch Florence schätzte die Rheinstädtchen, die von Frankfurt aus mühelos zu erreichen waren und die ihrer Vorstellung von Deutschland als einer in Fachwerk gehaltenen Miniaturwelt am angenehmsten gerecht wurden, weil es im Unterschied zu anderen romantischen Ausflugszielen dort Restaurants gab, die nicht nur Hausmacher Wurst auf der Speisekarte hatten.
Stephan wurde es meistens schlecht auf den Ausflugsfahrten, die die Familie dorthin unternahm. Willy Korn tat sich auf seine Weinkenntnisse etwas zugute. Er studierte die Weinkarte lange und wog die Jahrgänge und die Preise des Angebots gegeneinander ab, bis Florence ungeduldig wurde. Was er mit dem Wein anstellte, wenn dann schließlich die Flasche auf dem Tisch stand, fand Florence so widerlich, daß sie ihn ansah wie einen völlig |125| Fremden: ablehnend und ohne Neugier. Willy Korn rollte unterdessen den Wein auf der Zunge, ließ ihn gurgelnd in seinen Backentaschen verschwinden, zischend durch die Zähne ziehen und machte ein Gesicht, das einen humorvolleren Menschen als Florence wegen seines kindlichen Ernstes gerührt hätte. »Feiner Ton«, sagte er dann, wenn er die angewärmte Flüssigkeit heruntergeschluckt hatte. »Edler Körper. Volles Bukett. Ein nobler Wein.« Und dabei sah er Stephan auffordernd an. Stephan aber trank lieber ein Glas Champagner oder, wenn es den nicht gab, einen Traubensaft, wie seine Mutter. Willy betrachtete diese Sonderwünsche mit Wohlgefallen, versäumte aber nicht hervorzuheben, daß der Bub noch ans Weintrinken kommen werde, das gehöre nun mal zur feineren Lebensart.
Florence vermied es stets, sich mit ihrem Ehemann in einen Wortwechsel einzulassen, der ihm seine Unterlegenheit allzu deutlich gemacht hätte, denn das entsprach nicht ihren diplomatischen Prinzipien. Heimlich aber amüsierte sie sich über die Vorstellungen, die ihr Mann von einer »feineren Lebensart« hatte, ohne zu bemerken, daß die einzigen Lebewesen in seiner Nähe, die diese Eigenschaft besaßen, sie und Stephan waren.
Tatsächlich begann Stephan das Weintrinken erst, als er fern von Florence in Südfrankreich lebte, in den glücklichen Tagen, die ihm allein des Andenkens wert erschienen. Das war nun freilich ein anderer Wein als der, den sein Vater mit so viel Mühen schlückchenweise zu sich nahm. Auch die Reize des Rheingaus blieben ihm verschlossen. Er suchte eine andere Art von Natur. Diese Landschaft war ihm zu überschaubar, wie ein angelegter Park. Und obwohl er gar keine Vorlieben hatte für wilde, geheimnisvolle Schluchten und jähe Bergwände, erschien ihm eine Gegend, deren Topographie dermaßen säuberlich gegliedert war, so reizlos wie die mit grünen Sägespänen bestreuten Attrappen seiner elektrischen Eisenbahn.
Auf mich übte der Rheingau gerade wegen seiner Übersichtlichkeit und Bewohntheit seine große Wirkung aus. Daß man von günstig gelegenen Punkten die meisten Einzelheiten dieser Landschaft deutlich nebeneinander aufgereiht erkennen konnte, |126| ließ sie mir in meiner Phantasie als ein eigenes, abgegrenztes Reich vorkommen. Der Rhein war die breite Grenze dieses Reiches, die andere Grenze lag, wo die Hügelketten, die parallel verliefen, mit dem Himmel zusammenstießen. Die kleinen Städte, die sich am Ufer des Flusses hinzogen, bildeten die Stationen eines gotischen Kreuzweges. Jede dieser Städte hatte ein ganz eigenes Wesen, verwies aber zugleich auf die anderen. Sie waren wie Tyrus und Sidon oder Sodom und Gomorrha nicht als einzelne, voneinander zu trennende Stadtgebilde vorstellbar. Auf den Hügeln, wo Schlösser und Kirchen lagen, die gleichsam in zweiter Reihe dem Rhein folgten, zogen sich die unendlichen Linien der Weinstöcke entlang, die im Winter der Landschaft durch ihre Struktur das Aussehen eines Kupferstiches gaben und im Sommer wie von Le Nôtre entworfene Gartenanlagen aussahen. Von der Terrasse des einstigen Klosters Johannisberg aus erkannte man von weitem noch Kloster Eibingen und die Rochuskapelle als die äußerste Vorbotin des Gebietes, dessen nördliche Grenze ich nie überschritten hatte und auch nicht überschreiten wollte, weil dahinter gewiß wieder die banale
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