Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
litt, sondern unter seiner Genesung – und damit hätte er, um der schlagenden Formulierung willen, in jedem Wort eine Unwahrheit gesprochen.
    Litt Florence jemals wirklich unter Stephans Zuständen? Wäre sie durch eine Veränderung in seinem Leben glücklicher geworden? War Stephan krank, waren seine Passivität, sein sorgfältig inszenierter Winterschlaf, seine Verschlossenheit auffällig, unnatürlich und diagnostisch eindeutig? War die Tatsache schließlich, daß er sich einer jüngeren Frau zuwandte, ein Zeichen seiner Gesundung?
    Florence wußte wenig über das Liebesleben ihres Sohnes, und sie war ihm für diesen Umstand aus Prinzip dankbar, obwohl sie andererseits Intelligenz und Geschick aufwandte, um sich an Hand der geringen Spuren, die er ihr zu finden übrigließ, ein im großen und ganzen vollständiges Bild über Art und Umfang seiner |129| Affären zu machen. Stephans Phlegma ließ ihn kein raffinierteres Täuschungsmittel gegenüber seiner Mutter anwenden als das Verschweigen gewisser Vorfälle, Verabredungen, Aufenthaltsorte. Erfuhr sie zufällig etwas von dem, was Stephan ihr hatte verbergen wollen, so konnte sie sich, von der Erfahrung ausgehend, daß niemand grundlos etwas verschweigt, sicher sein, daß er gerade wieder einmal mit einer ihrer Freundinnen aus dem Bridge-Club in ein näheres Einverständnis geraten war. Sie besprach diese Neuigkeit in Stephans Leben mit Tiroler, der ihr die Gründe dafür haarklein auseinandersetzte. Obwohl diese Erklärungen in manchem ein unbarmherziges Licht auf ihre eigene Person warfen, erfüllten sie Florence mit großer Zufriedenheit, denn sie schienen eine Garantie dafür zu sein, daß sich an Stephans Verhalten nichts änderte.
    Stephan selbst hatte nicht die Gewohnheit, über seine Vorlieben und Eigenschaften lange herumzuräsonieren. Dennoch hatte er sich eine Art Philosophie über die Qualitäten älterer Frauen zurechtgemacht. Stephan hatte keinen Freund und bewegte sich überhaupt niemals vertraulich in der Gesellschaft von Männern, was der Formulierung seiner Standpunkte in bezug auf die Frauen an sich nicht entgegenkam, denn auch Stephan gehörte zu den Menschen, die ihre Gedanken am ehesten sortieren können, wenn sie sie in der anheimelnden Atmosphäre des Geständnisses vortragen, einer Atmosphäre, die so sehr nach Mitteilung verlangt, daß viele sich bei einem Mangel an Mitteilenswertem zur Erfindung bewegender Nachrichten entschließen.
    Daher ersetzte Stephan einen Freund durch sein Ebenbild im Rasierspiegel, und er hatte längst mit Vergnügen festgestellt, was für eine großartige Entdeckung er mit diesem Gegenüber gemacht hatte, denn dieser Freund war von hoher, aber weltfremder Intelligenz, klug genug, um die Geisteskraft Stephans zu erkennen, und naiv genug, um sie originell zu finden. Er war ein idealer Gefährte, denn er paßte sich in allen seinen Eigenschaften den gerade an ihn gestellten Erwartungen an. Er sagte nichts, und er war tief betroffen, als er Stephans Bekenntnis über seine Erfahrung mit den Frauen zu hören bekam.
    |130| Der Mensch, der Stephan morgens aus dem Spiegel entgegensah, war nie derselbe, denn der Schlaf war ein unheimlicher Zustand, der die Menschen anders entließ, als er sie gefangen hatte. In seiner Kelter machte man Erfahrungen, die jeder sofort wieder vergaß, die aber die Gesichter zeichneten und sie dem Betrachter im Spiegel fremd werden ließen.
    Stephans Gegenüber hob zu Beginn der Unterhaltung erstaunt die Augenbrauen und streckte dadurch das ganze Gesicht in die Länge. Es zeigte ein hochmütiges, manieristisches Pferdegesicht. Dann bleckte es die Zähne und grinste mit gefräßigem Charme, es sah ihn fragend an und bot ihm so viele Nuancen des Halbprofils, bis er eine entdeckte, die edel aussah. Und schließlich hielt es seinen verwundbaren langen Hals der haarscharfen Klinge entgegen.
    »Die Frauen«, sagte Stephan, »ich gebe zu, ein weites Feld. Wozu soll ich raten? Ich rate zu den alten.«
    Nach einer Weile fuhr er fort: »Ich kenne die Einwände. Die unerreichten Reize der ganz jungen Mädchen, nicht wahr? Die Pfirsichhaut, das dichte Haar, das rührende romantische Getue, der Spaß, Lehrmeister zu spielen bei so einem unerfahrenen Geschöpfchen?« Stephan schüttelte den Rasierapparat im heißen Wasser hin und her, eine ungeduldige Geste, die nicht nur den Apparat reinigen sollte, sondern auch die geschilderten unschuldigen Ansichten wegwischte.
    »Ich meine doch keine Greisinnen«,

Weitere Kostenlose Bücher