Das Bienenmaedchen
milchigen Brüste und seines schlaffen Bauchs hässlich fand. Vier Wochen waren seit der Geburt vergangen, und Nanny beharrte immer noch darauf, sie zu mästen, als sei sie eine trächtige Kuh. Die ganze Zeit über sprach sie Beatrice nun mit »Mutter« an, was diese wütend machte. Sie bemühte sich aber, ihre Verärgerung nicht zu zeigen. Sie erinnerte sich selbst daran, dass sie ihnen – ihnen allen – dankbar war. Sie hatten sie schließlich aufgenommen und ihr geholfen. Sie hatten sie unterstützt in ihrem Entschluss, das Baby zu behalten, als sogar ihre Mutter ihr geraten hatte, es wegzugeben. Amüsiert dachte sie an Delphines aufrichtige Bewunderung zurück, als sie ihre Eltern eine Woche nach der Geburt mit ihrem Enkel besucht hatte. Wie Delphine ihn gehalten und kleine französische Zärtlichkeiten gesummt hatte! Genau so musste es gewesen sein, als Beatrice ein Baby gewesen war. Es war eine Seite ihrer Mutter, die sie vergessen hatte.
Es war eine lange und schwierige Geburt gewesen, aber das Krankenhauspersonal hatte sich als ruhig und fürsorglich erwiesen, und Beatrice hatte sich, wie man ihr sagte, überraschend schnell erholt. In den Büros der Stadtverwaltung, wo sie die Geburt angemeldet hatte, waren es dagegen chaotisch zugegangen, weil in der Nähe eine Streubombe explodiert war.
Zurück im Schlafzimmer zog sie einen dicken Rock an, eine saubere Bluse und ihre Strickjacke. Sie streifte sich gerade ein Paar oft ausgebesserte Strümpfe über, als sich der Säugling bewegte und zu quengeln anfing. Sie ging zur Wiege, hob ihn heraus und nahm das warme, feuchte, strampelnde Bündel in ihre Arme. Vor lauter Liebe schoss die Milch schon in ihre Brüste. Sie würde ihn stillen, sagte sie sich, als er seinen Mund an ihre Brust klammerte, und ihn dann Nanny übergeben, damit sie ihm die Windeln wechselte und ihn anzog, während Beatrice frühstückte. Weil es kalt im Zimmer war, stieg sie mit dem Baby wieder ins Bett und lehnte sich zurück. Sie genoss die friedlichen Geräusche, die es beim Saugen von sich gab, und seinen urwüchsigen Duft.
Am Anfang hatte sie dieses Kind als Belästigung empfunden, dann hatte sie es leidenschaftlich gewollt – erst recht, seit sie von Guys Tod erfahren hatte. Aber sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, ihren Sohn so leidenschaftlich zu lieben, ihn mit entschlossener Kraft zu beschützen und zu versorgen. Plötzlich ließ er ihre Brustwarze los, drehte seinen Kopf und sah ihr unverwandt in die Augen, als ob er sie sich für immer einprägen wollte. Sie war eingeschlossen in seinem Blick und unfähig, zur Seite zu schauen, selbst wenn sie es gewollt hätte. »Ach, mein kleiner Schatz«, flüsterte sie. Der Bann war gebrochen, und der Säugling begann wieder zu trinken.
Beatrice lag zurückgelehnt in den Kissen. Sie liebte diesen intimen Moment mit ihrem Kind. Und sie liebte die wohltuende Ruhe des Zimmers, die behaglichen Geräusche des häuslichen Lebens, das unten weiterging, und die stille Welt jenseits des Fensters. Sie beide hatten einen Kokon der Geborgenheit gefunden, in dem Beatrice bleiben wollte, solange sie konnte.
Obwohl man sich behelfen musste und es ständig etwas zu reparieren gab, wurde 1941 das schönste Weihnachtsfest, an das sich Beatrice erinnern konnte. Ein Nachbar hatte ihnen eine kleine Gans geschenkt, die letztendlich Nanny rupfen und zubereiten musste, weil Angie ein schreckliches Theater darum machte. Es gab eine Art Weihnachtspudding, und Beatrice ging selbst nach draußen und schlug einen kleinen Tannenbaum, den Hetty mit selbstgemachten Papierlampen und kurzen Bändern schmückte. Als es an Heiligabend dunkel wurde, kam Gerald nach Hause. Ein höherer Offizier hatte ihm eine Mitfahrgelegenheit geboten. Sie verbrachten einen fröhlichen Abend, machten Spiele mit Hetty, zündeten ein paar Kerzen am Baum an und befestigten am Kaminsims zwei Strümpfe, einen für jedes Kind, damit der Weihnachtsmann sie füllte.
Am nächsten Morgen wurden sie früh durch Hettys Freudenschreie aufgeweckt, denn dem Weihnachtsmann war es gelungen, ihr eine Orange und ein paar Nüsse zu beschaffen, und Nanny hatte die Zuckerration einer ganzen Woche verbraucht, um Pfefferminzcreme zuzubereiten. Der Strumpf für den Säugling enthielt ein Paar Fäustlinge und zwei Paar Babyschuhe, von Nanny selbst gestrickt, sowie einen Spielzeughund mit Knopfaugen, den Beatrice’ Mutter aus einem alten Kissenbezug genäht und mit zerschnittenen Nylonstrümpfen ausgestopft
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