Das Bienenmaedchen
Vorstellung, dass er etwas von seinem Vater tragen würde.
Es war wirklich erstaunlich: Als die Hurlinghams und ihre eigenen Eltern sie verurteilt und als tadelnswert befunden hatten, war dieses winzige Kollateralopfer des Krieges von den Wincantons, die in keiner Weise mit Beatrice verwandt waren, ohne Einschränkungen willkommen geheißen worden. Mit den Babysachen auf dem Schoß schwor sie sich, das nie zu vergessen und die Wincantons dafür zu lieben.
»Und – das ist aber nicht gerecht – noch ein Geschenk für dich!« Hetty hielt ihr das Päckchen hin, das sie unter dem Baum hervorgezogen hatte.
Beatrice nahm es vorsichtig entgegen und starrte auf die liebe, vertraute Handschrift. Es war schon am Tag zuvor angekommen, und sie hatte versucht, es an sich zu nehmen, um es ungestört in ihrem Zimmer auszupacken. Aber Hetty hatte dem einen Riegel vorgeschoben und darauf beharrt, dass es mit dem Rest der Geschenke, die am Weihnachtstag geöffnet werden sollten, unter den Baum kam.
Es war das erste Mal seit September, dass sie etwas von Rafe hörte. Einmal, als sie noch in Dinahs Wohnung war, hatte er ihr eine Postkarte vom Lake District geschickt. Sie hatte ihm hastig einen Brief zurückgeschrieben, dessen Empfang er noch nicht bestätigt hatte. Nach der Geburt des Babys hatte sie ihm noch einmal geschrieben und ihm mitgeteilt, wo sie nun war, aber er hatte sich bis jetzt nicht gemeldet. Er musste den Brief jedoch bekommen haben, weil er gewusst hatte, wohin er sein Paket schicken musste. Sie versuchte zu erraten, was in dem Päckchen sein könnte. Es war klein, wog ungefähr so viel wie ein Buch und war mit vielen Bindfadenstücken verschnürt. Nanny reichte ihr eine Nähschere, und Beatrice schnitt die Schnur durch. Sie zog zwei eingewickelte Geschenke heraus. Auf dem einen stand ihr Name, das andere war für ihren Sohn. Auch ein Brief war dabei.
»Was hast du bekommen?«, fragte Hetty, beugte sich über die Armlehne und streckte gebieterisch die Hand aus.
»Hetty, Unhöflichkeit gibt’s hier nicht«, sagte Nanny.
Beatrice drehte ihre Geschenke um und wagte kaum, sie auszupacken – vielleicht würde sie ja enttäuscht sein.
»Nun mach schon, Bea«, drängte Angie.
Beatrice öffnete zuerst das Geschenk für das Baby.
»Mein Gott!«, entfuhr es Gerald.
»Was für ein außergewöhnliches Geschenk für ein kleines Kind!«, rief Angie.
»Du kannst das so ausdrücken, aber ich weiß zufällig, dass Rafe genau das als Baby geschenkt bekommen hat«, sagte Gerald. »Ich glaube, von seinem Großvater väterlicherseits.«
Es war eine kleine antike Silberpistole mit wunderschönen Einlegearbeiten aus Perlmutt am Griff. Beatrice drehte sie in ihren Händen und bewunderte die Handwerkskunst. Dann bat Gerald sie, einen Blick darauf werfen zu dürfen. Sie reichte ihm die Pistole und dachte dabei nicht zum ersten Mal: Falls Gerald sich irgendwie schuldig fühlte, weil er Angie seinem Bruder weggenommen hatte, dann sprach er jedenfalls nie darüber.
»Auch noch mit der Post verschickt!«, mokierte sich Nanny. »Es hätte doch verloren gehen oder in die falschen Hände gelangen können.«
»Und was hast du geschenkt bekommen?«, fragte Hetty ungeduldig.
Beatrice packte das zweite Geschenk aus. Es war ein kunstvoller silberner Fotorahmen mit einem Bild von Rafe in Uniform. Er sah gut aus, jungenhaft und lässig. Beatrice betrachtete es ein oder zwei Augenblicke lang, dann zeigte sie es den anderen. Doch seine Gegenwart – als ob er selbst plötzlich im Raum wäre – schien alle anderen zu stören.
»Ich frage mich, wo er jetzt ist«, sagte Angie.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Beatrice. »Ich hoffe, es geht ihm gut.«
»Das nehme ich an«, sagte Gerald. »Er hat sich als ein Überlebenskünstler erwiesen, unser Rafe.«
Nanny drückte sich aus ihrem Sessel hoch und fragte: »Ist es nicht Zeit, den Kleinen zu wecken, Mutter? Er verpasst sonst seinen Tee.« Zu Beatrice’ Leidwesen nahm sie das schlafende Kind hoch. Augenblicklich erwachte es und fing an zu schreien.
Beatrice nutzte die Ablenkung, um Rafes Brief in ihrer Tasche zu verstecken.
Nanny, die schon auf dem Weg zur Treppe war, rief ihr über die Schulter zu: »Ich trag ihn für Sie nach oben!«
Beatrice packte die Geschenke zusammen und folgte ihr die Treppe hinauf.
Einige Zeit später, als Nanny das Baby gebadet und zum Schlafen hingelegt hatte, war Beatrice allein mit ihm. Sie legte sich auf das Bett und las Rafes Brief in dem Licht der
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