Das Bienenmaedchen
mit heftigen Bewegungen Gras aus. »Wir waren alle noch so jung. Es war zu viel von ihr verlangt, auf mich zu warten.«
Nur anderthalb Jahre waren seither vergangen – aber wie unschuldig waren sie gewesen! Damals hatte Beatrice immer noch geglaubt, sie und Rafe wären füreinander bestimmt. Aber Rafe hatte Angelina zu Füßen gelegen, als würde er eine Göttin anbeten. In der Rückschau machte ein Teil von Beatrice ihm keinen Vorwurf. Auch sie war von Angelina fasziniert gewesen und hatte sich nach der Anerkennung des Mädchens gesehnt. Dann gab es keine Göttinnen mehr, nur gewöhnliche Menschen unter Druck, die ihr Bestes gaben, um zu überleben – aller Glanz war dahin. Beatrice, die glaubte, dass Rafe aus ihrem Leben verschwunden war, hatte sich aufgerafft und ihr Bestes getan, um ihr Glück zu finden. Und sie war glücklich gewesen. Guy. Sein Bild blitzte vor ihrem inneren Auge auf, und eine Woge der Trauer spülte über sie hinweg.
Zurück in der Wohnung, hängte sie die Mäntel auf und goss Rafe ein Glas Whisky aus einer Flasche ein, die Dinah für eventuelle männliche Besucher bereithielt. Beatrice streckte sich, um die Flasche ins Regal zurückzustellen. Als sie sich wieder umwandte, sah sie, dass Rafe sie erneut neugierig betrachtete. Es war der gleiche Blick, mit dem Sandra Williams sie angeschaut hatte, als sie sich die taktvollste Frage zurechtlegte, die man stellen konnte.
»Bea, entschuldige, dass ich mich einmische – aber geht es dir wirklich gut?« Die gleiche Frage wie bei Sandra.
»Ja, natürlich geht’s mir gut. Wieso nicht?«
Er warf erneut einen verstohlenen Blick auf ihre Leibesfülle, machte den Mund auf und wieder zu. Sie lächelte in sich hinein. Er hatte so viel durchgemacht – und jetzt machte ihn diese kleine Sache befangen, und er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Wenn du irgendwelche Probleme hast«, sagte er, »ich kann dir helfen, Geld und so weiter. Du weißt schon.«
»Danke«, sagte sie mit ernster Stimme. Sie wusste, dass sie ihm hätte dankbar sein sollen – warum also ärgerte sie sich über ihn? Nein, nicht über ihn, sondern über die Situation, in der sie sich wiederfand. »Im Moment komm ich klar.«
»Aber du wirst es mir sagen, wenn es dir schlecht geht. Versprichst du das?«
»Ich verspreche es, Rafe.« Sie lächelte ihn an. Aus seinem lieben Gesicht sprachen Angst und Sorge um sie. »Es ist so wunderbar, dass du wieder da bist. Ich kann’s immer noch kaum glauben!«
In der darauffolgenden Woche sahen sie sich wieder. Er führte sie zum Abendessen in einem ruhigen Restaurant in der Nähe ihrer Wohnung aus.
Diesmal wirkte er ein bisschen entspannter, obwohl seine seelische Erschütterung spürbar war. Sorgfältig und fast mit Bewunderung breitete er seine Serviette aus und aß und trank so bedächtig, als genösse er jeden Bissen und jeden Schluck. Als in der Küche eine Metallpfanne zu Boden fiel, was sich wie der Schuss aus einem Gewehr anhörte, zuckte er zusammen. Die elegante Kellnerin, die Frau des Eigentümers, war Französin, und Rafe unterhielt sich mühelos mit ihr in ihrer Sprache. Beatrice amüsierte sich, weil er den Akzent eines englischen Schuljungen hatte.
Sie erzählte ihm, was ihrem Großvater zugestoßen war. Er sah sie an, während sie sprach, und seine Augen waren voller Mitgefühl und Schmerz.
Er streckte den Arm über den Tisch und berührte ihre Finger. »Es tut mir leid«, sagte er. »Aber so ist es da jetzt. Die meisten Menschen denken nur an sich selbst. Sie sehen keine andere Möglichkeit. Ich hatte das Glück, ein paar Leute zu finden, die mir geholfen haben, trotz der Gefahr. Und es gibt dort ein Netzwerk.« Bei diesen Worten schaute er um sich, um sicherzugehen, dass niemand zuhörte.
»Rafe, so was würde hier nicht passieren, oder?«, flüsterte sie. »Die Nazis, meine ich.«
»Schsch! Nein. Dafür sorgen wir schon. Keine Angst.«
Beatrice beendete ihre Mahlzeit und erinnerte sich daran, was der alte französische Soldat zu ihr gesagt hatte, als sie ihm den Brief von Thérèse zeigte: »sein Bestes geben und an die Zukunft glauben«.
Manchmal lag sie nachts wach und spürte, wie sich das Baby in ihr bewegte. Dann gingen ihr düstere Gedanken durch den Kopf. In was für eine Welt würde sie dieses Kind hineingebären? Was für eine Art von Leben würde es haben? In solchen Nächten nahm sie die Morgendämmerung als ein Zeichen dafür, dass sie überlebt hatte. Von diesen Gedanken und Gefühlen konnte sie Rafe
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