Das Bienenmaedchen
Boden.
»Bea, nein, komm hoch!«, rief Rafe, und sie fühlte, wie er die Arme um sie legte und sie auf die Füße zog.
Als sie auftrat, war der Schmerz in ihrem Knöchel unerträglich. »Ich kann nicht«, schluchzte sie. »Du musst allein weitergehen.«
»Sei nicht albern!« Er versuchte, sie mit sich zu ziehen, aber sie weigerte sich.
»Lass mich hier, Rafe. Es ist deine einzige Chance!«
»Nein.«
»Rafe, hier geht’s nicht um uns«, sagte sie gequält. »Mir wird nichts passieren, ich kann mich rausreden. Geh, um Himmels willen, oder sie kriegen uns beide!« Und die ganze große Sache wäre zum Scheitern verdammt.
»Ich werde dich nicht verlassen!«
Das Licht der Taschenlampen streifte die Bäume über ihnen, überall um sie herum fielen Schüsse. Rafe zuckte zusammen und schrie auf. Mit einem Gefühl der Verzweiflung sah sie, wie er in die Dunkelheit sank. Beatrice betete, dass er nicht schlimm getroffen war. Sie rollte sich hinter einen Baum, stand mit ihrem gesunden Bein auf und tastete nach ihrer Pistole.
Als die erste weißgesichtige Gestalt auf sie zukam, zielte sie ruhig und drückte ab.
Bevor sie feuerte, fiel das Licht der Taschenlampe kurz auf den deutschen Soldaten. Der Anblick brannte sich für immer in ihr Gedächtnis ein. Es war ein junger Mann – so jung wie Rafe und mit Rafes goldenem Haar –, und in seinem Gesicht stand blankes Entsetzen. Dann wurde es rot vor Blut, und er stürzte zu Boden.
Im gleichen Moment, als sie wahrnahm, dass jemand hinter ihr stand, spürte sie schon einen heftigen Schlag gegen den Kopf – und für eine Weile wusste sie nichts mehr.
Als Beatrice wieder zu sich kam, lag sie in einem offenen Lastwagen auf dem Rücken. Ihr Kopf tat weh, und ihr Knöchel brannte vor Schmerz. Ihre Handgelenke waren hinter ihrem Rücken fest zusammengebunden, und etwas Schweres hielt ihre Beine auf den Boden gedrückt. Als sie den Kopf bewegte, sah sie mit Grauen, dass es die Leiche des armen Jungen war, den sie erschossen hatte.
»Runter!«, wurde ihr auf Deutsch befohlen, und ein brutaler Schlag gegen die Brust nahm ihr die Luft. Sie lag still da, denn sie war sich ihres Peinigers bewusst, dessen Gewehr immer noch über ihr schwebte und der nur auf einen Vorwand wartete, um sie erneut zu schlagen. Der Fahrer legte einen anderen Gang ein, der Motor röhrte auf, und der Lastwagen rumpelte über die Landstraßen. Bald änderten sich die Erschütterungen, und Beatrice sah die vorbeiziehenden Silhouetten von Gebäuden. Schließlich hielt der Laster ruckelnd an. Ein weiterer Soldat erschien und half, die Leiche wegzutragen. Dann packten sie Beatrice und versuchten, sie zum Stehen zu bringen, aber ihr Fuß knickte um, und sie schrie vor Schmerz auf. Sie mussten sie fast durch eine kleine Tür in das riesige dunkle Gebäude tragen. Zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie echte Furcht.
Sie zerrten sie durch einen schwach beleuchteten Korridor, vorbei an einer Reihe von Zellentüren, die alle geschlossen waren, bis sie am Ende des Ganges eine offene Tür erreichten. Die Männer stießen Beatrice hinein und legten sie auf den Betonboden. Sie lösten ihre Fesseln und verschwanden. Als eine Wärterin erschien, eine muskulöse Deutsche, setzte Beatrice sich auf. Die Frau zog ihr die Jacke, den Gürtel und die Schuhe aus und durchsuchte sie mit groben Händen. Dann ging auch sie hinaus und verriegelte die Tür hinter sich.
Zum ersten Mal seit ihrer Gefangennahme war Beatrice allein. Vorsichtig untersuchte sie ihren Knöchel, um herauszufinden, ob er gebrochen war. Er war deutlich geschwollen, und als sie aufzustehen versuchte, trug er ihr Gewicht nicht. Ihr Kopf schmerzte immer noch von dem Schlag.
Sie schätzte die Abmessungen ihrer Umgebung ab. Die Zelle maß ungefähr drei Yards im Quadrat. Das einzige Fenster im Raum war zu hoch, um hinauszusehen. Das bleiche Licht der Morgendämmerung fiel in Streifen auf den Boden. Es gab keine Chance, von hier zu fliehen.
An einer Wand lag eine dünne Strohmatratze, an der anderen stand ein Metalleimer. Sie kroch zu der Matratze hinüber und rollte sich darauf zusammen, um Kraft zu schöpfen und nachzudenken. Rafe! Sie betete, dass er noch am Leben war – dass er entkommen war. Aber was war mit Charles und den Girands geschehen? Trostlosigkeit überkam sie. Sie wusste nicht, woher sie die Kraft nehmen sollte für das, was ihr bevorstand. Was immer das war. Plötzlich fiel ihr ein, dass die Selbstmordpille mit ihrer Jacke fort war. Diese
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