Das Bienenmaedchen
den Boden, sodass er ihr ins Gesicht schaute. Das seine, erkannte sie, glänzte vom Wasser – oder war es Schweiß? Sie schlang ihre Arme um ihn und zog ihn an sich. Eine ganze Weile verharrten sie so, bis es zu unbequem wurde. Er stand auf und legte sich neben sie. Sanft zuerst, dann mit zunehmender Leidenschaft küsste er sie. Seine Hände bewegten sich über ihren Körper, und sie rollte sich auf die Seite. Sie begehrte ihn verzweifelt und konnte kaum fassen, dass dieser Moment endlich doch noch gekommen war.
Später, als sie eng umschlungen nebeneinanderlagen, sagte sie: »Ich wollte das schon so lange.«
»Wirklich?«, fragte er, seine Augen funkelten. Irgendwann sagte er: »Ich auch.«
»Das wusste ich nicht«, flüsterte sie. »Ich konnte nur sehen, dass du angespannt und unglücklich warst.«
»Darüber kann ich nicht reden. Nicht mal mit dir.«
»Du brauchst mir ja keine Geheimnisse zu verraten, aber du kannst mir doch erzählen, wie du dich fühlst.«
»Nein. Ich will stark für dich sein und dir keine Angst machen.«
Darüber musste sie lachen. »Ich kann kaum noch mehr Angst bekommen, als ich schon habe! Rafe, ich weiß genau, was mir passieren kann. Es ist sinnlos zu versuchen, mich davor zu schützen. Wir gehen bei dieser Sache die ganze Strecke gemeinsam.«
»Ich möchte dich beschützen«, sagte er leise.
Sie lagen dicht nebeneinander und hatten kein Bedürfnis mehr zu reden. Die Geschöpfe im Dach waren nun still, vielleicht spürten sie den kommenden Sturm. Draußen wurde das leise Donnergrollen lauter und kam näher. Der Mond schien nicht mehr, aber nun wurde das Zimmer in regelmäßigen Abständen vom Blitz erhellt. Dann hörten sie, wie die ersten Regentropfen aufschlugen.
Rafe zog das Laken über Beatrice’ Schultern. Gemeinsam lagen sie da und lauschten, wie der Sturm am Himmel vorüberzog. Die Luft wurde kühler und weniger schwül, und schließlich schlief Beatrice ein.
Nach dieser Nacht kam er oft zu ihr. Ihr Zimmer hatte zwar den Vorteil, das es weiter weg von dem der Girands lag, aber in seinem stand ein Doppelbett. Einmal wurden sie in Verlegenheit gebracht, als sie Madame Girand auf dem Flur begegneten. Doch sie murmelte bloß: »Bonne nuit« , und zog sich in ihr eigenes Schlafzimmer zurück.
Als sie am nächsten Morgen nach unten gingen, machten sie sich Sorgen, was man nun von ihnen halten würde. Doch Madame Girand behandelte sie genauso wie immer, und die Angelegenheit selbst wurde nicht erwähnt. Und so verbrachten sie nach einer Weile die Nächte in Rafes Zimmer. Beatrice kam es vor wie ein gemeinsamer Zufluchtsort, an dem sie für kurze Zeit glücklich sein konnten.
Zuerst redeten sie nicht viel miteinander. Es war, als lebten sie vollkommen in der Gegenwart – sie horchten wachsam auf das Knarren von Stufen oder das entfernte Geräusch eines Fahrzeugs oder das warnende Gebell eines Hundes, der eine Meile weg zu sein schien. Wenigstens hier war die Last der Vergangenheit aus ihrem Bewusstsein verschwunden. Es gab nur die Arbeit, die sie zu erledigen hatten, und die Freude, sich gegenseitig zu erkunden.
»Denkst du an Zuhause?«, fragte sie ihn einmal. Er schüttelte den Kopf.
Ein anderes Mal erwachte sie in den frühen Morgenstunden und entdeckte, dass auch er nicht schlief, sondern ruhig dalag und sie einfach im Halbdunkel beobachtete.
»Was ist?«, flüsterte sie.
»Nichts«, antwortete er. »Ich mag es, dich anzuschauen, wenn du schläfst. Du siehst so friedlich aus.«
Rafe hingegen war ein unruhiger Schläfer. In einer stockdunklen Nacht wurde sie wach und sah, dass er nicht da war. Sie geriet in Panik, stand auf und sah, dass die Tür offen war. Leise schlich sie nach unten. Wie erleichtert war sie, als ihn draußen am Rande eines Kornfelds entdeckte! Er ging auf und ab, und die Spitze seiner Zigarette glühte heftig. Sie wollte ihn nicht stören und tapste wieder nach oben ins Bett.
Einmal, nachdem sie sich geliebt hatten, hielt er sie so fest umklammert, dass es wehtat. »Ich liebe dich«, murmelte er. »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass du hier bist.«
»Oh Rafe, ich liebe dich auch! Aber ich mach mir Sorgen … Wird es anders sein, wenn wir wieder in England sind?« Falls wir je dahin zurückkehren, sagte eine leise Stimme in ihrem Kopf.
»Ich möchte immer bei dir sein – das ist alles, was ich jetzt weiß«, antwortete er, und sie war fast, aber nicht ganz beruhigt.
Der Juli 1943 ging langsam vorbei, und etwas in der Luft veränderte
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