Das Bienenmaedchen
sich. Brigitte und Gaston spürten es, die alten Männer im Café fühlten es. Deutsche Patrouillen gingen häufiger durch die Stadt, und an einem Markttag gab es eine Durchsuchung von Haus zu Haus, die damit endete, dass eine ganze Familie fortgebracht wurde. Ihr Verbrechen bestand darin, einen Juden versteckt zu haben. Dann kam eine Nachricht von Stefan: Der Mann, den er beschattet hatte – André –, war verschwunden, und Nachforschungen im Hotel hatten nichts erbracht. Er hatte einfach bezahlt und war gegangen.
»Da draußen wechseln die Gezeiten. Sie kriegen es mit der Angst zu tun.« Gastons pathetische Erklärung war eine Reaktion auf die durchgesickerte Nachricht von der Invasion der Alliierten auf Sizilien.
»Dann werden sie hier die Daumenschrauben noch fester anziehen«, sagte Rafe.
In die Hoffnung in den Augen der Menschen mischte sich die Furcht. Die Résistance mochte zwar kühner werden, aber jeder hatte Angst vor Vergeltungsmaßnahmen. Die Anspannung wuchs.
KAPITEL 31
»Bea, steh auf!«
Rafe rüttelte sie wach. Überall waren Schüsse und Rufe zu hören. Die Geräusche kamen von unten. Plötzlich eine weibliche Stimme – Brigittes –, schrill und kreischend. Beatrice wusste, was sie zu tun hatte. Die eine Hand schloss sich um ihre Pistole unter dem Bett, die andere um den Munitionsgurt. Dann ihre Jacke – sie streifte sie über – und die Schuhe. Rafe, der schon angezogen war, riss die Fensterläden auf und sagte: »Du zuerst – schnell!«
Es war ihr alles vom Training her vertraut. Auf den Stuhl steigen, sich über die Fensterbank schwingen, nach unten hängen lassen, mit zusammengepressten Knien in die Dunkelheit springen. Und schon rollte sie über das Unkraut, kam auf die Füße, stolperte über eine niedrige Mauer und rannte durch ein Kornfeld. Sie konnte Rafe hinter sich hören, dann streifte seine Jacke ihren Arm.
»Da rüber«, keuchte er.
Abrupt wandte sie sich seitwärts und lief auf die Hecke und eine Baumgruppe zu, schwarze Umrisse in schwarzer Dunkelheit.
Helle Lichtstrahlen. Ein Gewehrschuss knallte. Nun waren sie aus dem Kornfeld heraus und traten auf lehmige Erde. Als sie das Wäldchen erreichten, schaute Beatrice sich um. Ein halbes Dutzend Strahlen von Taschenlampen glitt über das Feld. Der Mann mit dem Gewehr stand davor.
Hinter dem Wäldchen war ein weiteres Feld, dann kam ein dichtes Waldgebiet, wie sie wusste, und etwas weiter weg lag der Fluss.
»Hier entlang!«, rief sie.
Sie rannte in das Feld hinein, Rafe blieb direkt hinter ihr. Eine Kugel schlug neben ihr ein, und Erde spritzte ihr bis ins Gesicht. Sie schrie auf, wischte sie weg und rannte dabei immer weiter. Ihr Atem kam stoßweise, und sie keuchte heftig. Der Boden unter ihren Füßen veränderte sich erneut, und nun mussten die beiden beim Laufen den Bäumen ausweichen, wobei sich ihre Kleidung im Unterholz verfing. Beatrice durfte nicht zurückschauen, sonst würde sie vom Licht der Taschenlampen geblendet.
Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie fanden einen Pfad und rannten ihn entlang. Die ganze Zeit achteten sie darauf, ob sie Geräusche von ihren Verfolgern hörten. Sie kamen zu einem Weg, überquerten ihn und liefen unter einer Reihe von Pappeln an der Seite eines weiteren Feldes entlang.
Zu ihrer Rechten neigte sich das Land nach unten. Rafe überholte Beatrice, wandte sich dem Abhang zu und rannte hinunter, und sie folgte ihm sofort. Im gleichen Moment hörten sie hinter sich Gewehrsalven krachen, bis die Bodensenke sie den Blicken ihrer Verfolger entzog. Dann gab es ein helleres Geräusch: das Rauschen von fließendem Wasser. Der Fluss! Beatrice’ Herz hüpfte voller Hoffnung. Und weiter rannten sie.
Bei einem alten Bauernhaus überquerten sie einen kleinen Weg und brachten Hunde zum Bellen. Dann kletterten sie über einen Holzzaun und schlugen sich wieder in buschiges Waldgelände. Das Rauschen des Flusses wurde lauter. Dort musste ein Wehr sein. Nun war ihr klar, wohin Rafe wollte. Aus ihrer Einsatzbesprechung wusste sie, dass der Fluss an dieser Stelle ziemlich breit und flach war und viele bewaldete Inseln hatte. Sicher gab es dort Möglichkeiten, sich zu verstecken. Sie hatten das Wasser fast erreicht. Beatrice konnte hören, wie es schäumte und strudelte. Und sie hatte recht: Da musste ein Wehr sein, obwohl es zu dunkel war, um es durch die Bäume zu erkennen.
Plötzlich fuhr ein Schmerz durch ihren Knöchel, und sie stürzte mit der Brust auf den
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