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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Tablett hindurchgeschoben, gefolgt von einem Kanten trockenen Brots. Sie ging zur Tür, um sich das Essen zu holen. Ihr war bis jetzt nicht bewusst gewesen, dass sie furchtbar hungrig war. Sie zwang sich, den schrecklichen Eintopf langsam zu essen, und tunkte das Brot hinein, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen.
    Danach hatte sie immer noch Hunger, aber sie war zu erschöpft, als dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Sie legte sich hin und fiel in einen unruhigen Schlaf voller entsetzlicher Träume. Einmal wachte sie auf. Es war stockdunkel, und ihr Knöchel pochte. Sie hatte das Bedürfnis, sich umzudrehen, konnte sich jedoch nicht bewegen. Es war, als ob die Finsternis auf sie herabdrückte – sie vom Atmen abhielt und jede Hoffnung erstickte.
    Sie musste wieder eingeschlafen sein, denn das nächste Mal wurde sie von dem Ruf eines Mannes hinter dem winzigen, quadratischen Fenster geweckt, durch das nun bleiches Tageslicht schien. Sie hörte einen weiteren Ruf, dann einen Schuss und einen dünnen, animalischen Schrei, der ihr das Herz zerriss. Sie wankte zu dem Stuhl hinüber, stieg darauf und versuchte, aus dem Fenster zu schauen, aber sie sah nur die Mauer des benachbarten Backsteingebäudes. Marschierende Schritte und gutturale Stimmen von Männern hallten aus dem Hof nach oben. Dann folgten andere Schreie. Zuerst konnte Beatrice sie nicht verstehen. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie die Soldaten die Leichen losbanden und fortschafften. Sie ließ sich auf den Stuhl fallen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Wieder erfasste sie eine abgrundtiefe Verzweiflung. Die Schreie kamen jetzt von überall her – aus anderen Zellen, wie sie endlich begriff. »Vive la France!« , riefen sie, und ihr Herz schlug höher.
    Neben dem Stuhl hatte jemand etwas in einer winzigen, verblassten Handschrift auf die Wand gekritzelt. Sie musste ihren Kopf verdrehen, um es zu erkennen, und nach mehreren Versuchen schaffte sie es, die Buchstaben zu entziffern.
    Quand j’étais jeune, je gardais les vaches. Maintenant les vaches me gardent.
    Als ich jung war, habe ich die Kühe bewacht. Jetzt bewachen die Kühe mich.
    Es sollte für lange Zeit das letzte Mal sein, dass sie lachen musste.
    Irgendwann am Vormittag – sie hatte inzwischen völlig ihr Zeitgefühl verloren – kam die Wärterin, um sie abzuholen. Etwas in ihren Augen ließ Beatrice daran zweifeln, dass wirklich jemand mit ihr gesprochen hatte, aber die grobe Behandlung wiederholte sich nicht. Beatrice wurde zum selben Büro im Gestapo-Hauptquartier in der Avenue Foch gebracht, um denselben Mann zu treffen. Diesmal war die Atmosphäre anders. Obwohl der Mann so ruhig und höflich sprach wie am Tag zuvor, herrschte eine untergründige Spannung.
    Wieder forderte er sie auf, ihm Namen und die Einzelheiten von Operationen der Résistance in Südfrankreich zu nennen. Wieder weigerte sie sich.
    »Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, erklärte er, ging zur Tür und öffnete sie. »Kommen Sie.« Er ließ ihr höflich den Vortritt, und führte sie dann eine Treppe hinauf in einen anderen Teil des Gebäudes. Hier öffnete er mit einer schwungvollen Bewegung ein paar Doppeltüren, und schließlich stand sie in einem wunderschönen Zimmer, das offenbar als Konferenzraum genutzt wurde.
    Ihr Blick wurde sofort von einer großen Grafik mit den Umrissen von Frankreich angezogen, die an einer der Wände hing. Der Offizier hatte sie hergebracht, um sie ihr zu zeigen. Als sie nah genug war, um zu lesen, was darauf stand, brach ihre Entschlossenheit fast in sich zusammen. Ganz oben auf der Karte stand der Name von Major Buckmaster. Und darunter breitete sich wie ein großes Spinnennetz eine Kommandokette aus, in der die Namen all seiner Agentengruppen in Frankreich sowie deren Anführer und Funker aufgeführt waren. Also stimmte es: Sie wussten alles. Aber nein, wussten sie nicht! Wieder war es der Gedanke an Stefan und seine Kampfgefährten, der Beatrice Kraft verlieh.
    »Und das hier werden Sie vielleicht wiedererkennen«, sagte der Mann und ging zu einer Art Anrichte. Er öffnete sie und holte einen schweren Gegenstand von der Größe eines Schuhkartons hervor. Für ein ungeübtes Auge sah ein Funkgerät natürlich fast genauso aus wie das andere, aber Beatrice wusste genau, wo sie diese Apparatur schon einmal gesehen hatte: in Charles’ Zimmer über dem »Café le Coq«.
    »Mir ist klar, was Sie mir damit zu verstehen geben«, brachte sie mit tonloser Stimme hervor.

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