Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
Vom Netzwerk:
»Lebt er noch?«
    »Leider bin ich es, der die Fragen stellt. Also, sind Sie jetzt bereit, mit mir zu reden?«
    Erneut schaute sie zur Wand – auf den Namen von Charles unter dem von Rafe – und fasste einen Entschluss.
    »Nein«, antwortete sie.
    Er sagte kein Wort dazu, sondern drehte sich auf dem Absatz um und wies sie an, ihm zu folgen. Sie konnte erkennen, dass er wütend war. In seinem Büro griff er nach dem Telefon und stieß ein paar deutsche Worte hervor. Bald darauf erschienen zwei Wärter, und sie wurde wieder abgeführt.
    »Das ist nicht der Weg zum Gefängnis«, sagte sie auf Französisch zu dem Mann, der neben ihr im Auto saß. »Wohin fahren wir?«
    Er beachtete sie nicht, während der Fahrer eine Route durch eine Vielzahl von Nebenstraßen nahm und schließlich in einer engen, dunklen Gasse vor einem düster aussehenden Betongebäude anhielt.
    »Was ist das für ein Haus?«, fragte Beatrice mit zunehmender Furcht, doch wieder bekam sie keine Antwort. Sie wurde aus dem Auto und in das Gebäude geschoben. Dort eskortierten zwei Wärter sie mehrere Treppenfluchten nach oben und dann durch weitere Korridore, bis sie vor einer Tür stehen blieben und Beatrice ohne weitere Umstände in den Raum hineinstießen. Sie stolperte, und als sie sich umdrehte, um zu fragen, wo sie sich befand, war es bereits zu spät. Die Tür schlug zu, und sie war allein.
    Allein – und dennoch spürte Beatrice in diesem düsteren Raum die Anwesenheit von anderen: von jenen, die vor ihr hier gewesen waren und deren Leid und Kummer die Atmosphäre aufgesogen hatte. Und als sie um sich schaute, fingen die Stimmen der Geister zu sprechen an, durch Inschriften auf den Wänden. Über dem Bett hatte jemand mit Bleistift auf Englisch »Niemals gestehen!« und »Ich hab solche Angst!« geschrieben . Neben der Tür stand: »Catherine, je t’aime. Adieu, mon amour!« Fast am schlimmsten war ein einfacher Kalender, über dem »Juli 1943« stand, und bei dem die Tage in Strichen gezählt waren. Vier senkrechte Striche, von einem schrägen Strich durchkreuzt, bedeuteten fünf Tage. Es gab fünf vollständige Blöcke, und dann folgten nur noch vier senkrechte Striche. Beatrice rechnete nach: Der Kalender endete mit dem 29. Juli. Sie versuchte, sich an das Datum zu erinnern. Heute musste doch der … O Gott, es war der 30. Juli! Voller Entsetzen starrte sie auf die Striche und fragte sich, was aus dem unbekannten Menschen geworden war, der sich noch bis vor einem Tag hier aufgehalten hatte. Sie schaute sich um und suchte nach irgendeiner Spur, die er hinterlassen haben könnte. Schließlich fand sie ein Stück weichen grauen Splitt, mit dem sie die letzten vier Striche durchkreuzen konnte – diese Aufgabe vermittelte ihr eine winzige Befriedigung.
    Sie hatte den Splitt gerade zurück auf den Boden gelegt, wo sie ihn wiederfinden konnte, als draußen die Geräusche von eiligen Schritten erklangen. Dann hörte sie einen Schlüsselbund klirren, und ein Schlüssel drehte sich im Türschloss. Der Mann, den der Wärter hereinbrachte, war ihr Vernehmungsoffizier aus der Avenue Foch.
    »Ah, Miss Marlow. Ich hoffe, Sie fühlen sich behaglich in Ihren neuen Räumlichkeiten.« Sein Ton war unverändert höflich und zuvorkommend – sogar warmherzig, als ob es ihn wirklich kümmerte, ob sie sich wohlfühlte.
    »Was wollen Sie?«, fragte Beatrice.
    »Kommen Sie bitte hier entlang.«
    Sie stand auf und wollte ihm folgen, doch plötzlich fühlten sich ihre Gliedmaßen entsetzlich schwach an. Sie konzentrierte sich auf das heiße Pochen in ihrem Knöchel und stellte fest, dass es ihr Mut machte.
    Der Wärter öffnete eine Tür zu einem großen viereckigen Raum, in dem ringsum Fenster waren. Die hochgewachsene Gestalt eines Mannes hob sich als Silhouette gegen das Licht ab. Bei seinem Anblick empfand Beatrice eine entsetzliche animalische Furcht. Sie konnte nicht … würde nicht in diesen Raum gehen. Stur blieb sie stehen und hielt sich mit den Händen am Türrahmen fest, bis der Soldat sie über die Schwelle stieß. Sie fiel gegen den Tisch. Darauf lag eine Ansammlung von grausam aussehenden Metallwerkzeugen. Und die Wand darüber war übersät von rotbraunen Flecken.
    Harte Hände zogen sie hoch und drückten sie auf einen Stuhl. Der Wärter band ihre Handgelenke an die Armlehnen und ihre Beine über den Knöcheln zusammen. Das Gesicht des Vernehmungsoffiziers füllte ihr Blickfeld aus. Sie starrte in diese ruhigen blauen Augen und wusste, dass er sie

Weitere Kostenlose Bücher