Das Bienenmaedchen
Wincantons – wie hübsch Angie geworden und was für ein netter Kerl Ed sei. Er redete immer weiter. Beatrice konnte es kaum ertragen, ihm zuzuhören.
Dann gingen alle fort. Rafe reiste gleich nach Weihnachten nach Southampton ab, um seine Mutter am Schiff abzuholen und sie dann nach London zu begleiten. Beatrice ging am ersten Tag des Jahres 1939 nach Carlyon Manor, um sich von den Wincantons zu verabschieden. Der Haushalt befand sich wegen des Packens in heller Aufregung. Nach langen Diskussionen war entschieden worden, dass Angie für eine kurze Zeit nach Paris zurückkehren sollte. Peter bereitete sich auf das Internat und Ed auf die Universität in Oxford vor. Nur die zehnjährige Hetty und ihre Mutter würden zurückbleiben, und auch sie würden im März zum Start der Saison nach London ziehen. Beatrice wanderte durch die unordentlichen Zimmer und spürte, dass ein ganzer Abschnitt ihres Lebens zu Ende ging.
Auch für sie musste gepackt werden, und ihre Mutter nähte emsig Namensschilder auf die Blusen, Röcke und Strickjacken, die mit der Post eintrafen. Am 2. Januar brachte ihr Vater sie zu seinen Eltern in Gloucestershire. Es war das erste Mal seit mehreren Jahren, dass sie ihre Großeltern besuchte. In dem hübschen Haus aus goldfarbenem Stein lebten auch ihr Onkel und ihre Tante sowie zwei Cousinen und ein Vetter, die alle drei jünger waren als sie. Ihre Großeltern standen dem Haushalt nur noch der Form halber vor. Mr und Mrs Marlow waren inzwischen betagt, und Beatrice’ Onkel George, Hughs älterer Bruder, hatte die Leitung des Anwesens übernommen. Sie mochte die sanft gewellte Hügellandschaft und die Dörfer, deren Häuser aus Steinen in satten Farbtönen erbaut waren. Sie mochte es, Teil eines geschäftigen Familienhaushalts zu sein und wie eine Erwachsene behandelt zu werden, die sich jeden Abend für die Mahlzeit besonders kleidete und Gästen so vorgestellt wurde, als wäre sie eine junge Frau und kein Kind mehr. Ihre Cousinen und der Cousin waren goldig: zwei achtjährige Zwillingsmädchen und ein jüngerer Bruder im Alter von sechs. Ihre Mutter, Tante Julia, war die zweite Frau von Onkel George und viel jünger als er. Silvia, seine erste Frau, war etwa um die Zeit von Beatrice’ Geburt an Tuberkulose gestorben. Julia war eine fröhliche, freundliche Frau mit einer Leidenschaft für Hüte und freie Tage. Sie nahm Beatrice gleich unter ihre Fittiche, brachte ihr bei, sich modischer zu frisieren, und schenkte ihr Puder und einen Lippenstift.
Ein paar Tage später brachte ihr Vater sie nach Larchmont, einem zwanzig Meilen vom Haus ihrer Großeltern entfernten Internat für Mädchen, und zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie unter Fremden allein gelassen.
Larchmont war nicht eine jener Schulen, auf denen vornehme junge Damen Fertigkeiten erlernten. Die Direktorin hatte sie kurz nach dem Krieg gegen den deutschen Kaiser gegründet, um Mädchen eine akademische Ausbildung zu geben, die ihren Lebensunterhalt vielleicht selbst würden verdienen müssen.
Obwohl sie in Geometrie und Algebra ein wenig hinterherhinkte, stellte Beatrice erleichtert fest, dass Miss Simpkins sie in allen anderen Fächern, die im Zeugnis aufgeführt wurden, hervorragend unterrichtet hatte. Der Unterricht in einer Klasse mit intelligenten, zumeist lernbegierigen Mädchen war eine herrliche neue Erfahrung. Was sie jedoch hasste, war das Schulessen.
Die Schule befand sich in einer umgebauten Fabrik. Ein sehr langer, schmaler Raum unter dem Dach diente den vierzig Internatsschülerinnen als einziger Schlafraum, der ihnen außer den Decken, unter denen sie schliefen, keinerlei Privatsphäre gewährte. Auch die Badezimmer teilten sie sich. Die Direktorin war in vielerlei Hinsicht aufgeklärt, hatte jedoch mit Individualismus nichts im Sinn. Für sich zu sein galt – abgesehen von dem Schweigegebot in der Bibliothek, mit dem eigene Studien gefördert werden sollten – als gesundheitsschädlich. Und sobald der Unterricht vorbei war, erwartete man von den Mädchen, dass sie bei jedem Wetter Mannschaftsspiele spielten oder sich den wöchentlichen Querfeldeinläufen anschlossen. Beatrice war aufgrund ihrer Krankheit von all diesen sportlichen Tätigkeiten freigestellt. Weil aber das Anderssein in Larchmont die soziale Ächtung bedeutete, beschloss sie schon bald, die Schwäche aus ihren Gliedern zu vertreiben. Das hielt jedoch eine kleine Gruppe von Mädchen nicht davon ab, sie merkwürdig zu finden und sie aus ihren
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