Das Bild
schien.
Und natürlich Bill. Sie sah seine haselnußbraunen Augen
mit dem grünen Unterton, sah sein dunkles, an den Schläfen
zurückgekämmtes Haar, sah sogar die winzige Narbe an seinem Ohrläppchen, das er sich (vielleicht am College, als
Folge einer in betrunkenem Zustand abgeschlossenen Wette)
einmal hatte durchstechen, aber wieder zuwachsen lassen.
Sie spürte die Berührung seiner Hand an der Taille, seine
warmen, kräftigen Finger; spürte, wie ihre Hüfte manchmal
an seiner streifte und fragte sich, ob es ihn erregt hatte, sie zu
berühren. Inzwischen gestand sie sich ein, daß seine Berührung sie auf jeden Fall erregte. Er war so völlig anders als
Norman, daß er ihr wie ein Besucher aus einem anderen Sonnensystem vorkam.
Sie schloß die Augen. Döste.
Ein weiteres Gesicht kam aus der Dunkelheit geschwebt.
Normans Gesicht. Norman lächelte, aber seine grauen Augen waren so kalt wie Eiszapfen. Ich werfe die Angel nach dir
aus, Süße, sagte Norman. Ich liege gar nicht weit von dir auf meinem eigenen Bett und werfe die Angel nach dir aus. Nicht mehr
lange, und ich werde mit dir reden. Aus der Nähe werde ich mit dir
reden. Es dürfte eine ziemlich kurze Unterhaltung werden. Und
wenn ich mit dir fertig bin …
Er hob eine Hand. Darin hielt er einen Bleistift, einen Mongol Nr. 2. Die Spitze sah wie die einer Stecknadel aus.
Diesmal werde ich mich nicht mit deinen Armen und Schultern
aufhalten. Diesmal nehme ich mir gleich die Augen vor. Oder vielleicht deine Zunge. Was meinst du, wie das sein wird, Süße? Wenn
ich dir einen Bleistift mitten durch deine geschwätzige, verlogene
Zunge bohren w
Sie riß die Augen auf, und Normans Gesicht verschwand.
Sie machte die Augen wieder zu und beschwor Bills Gesicht
herauf. Einen Augenblick war sie sicher, daß es nicht erscheinen, daß statt dessen Normans Gesicht wieder auftauchen
würde, aber es blieb verschwunden.
Am Samstag gehen wir aus, dachte sie. Wir werden den ganzen
Tag zusammen verbringen. Wenn er mich küssen will, lasse ich
ihn. Wenn er mich halten und anfassen will, lasse ich ihn. Es ist
verrückt, wie sehr ich mir wünsche, bei ihm zu sein.
Sie döste wieder ein, und nun dachte sie, daß sie von dem
Picknick träumen mußte, das sie und Bill übermorgen eingeplant hatten. Jemand anders picknic kte in der Nähe, jemand
mit einem Baby. Sie konnte es ganz leise weinen hören. Dann
ertönte Donnergrollen - etwas lauter.
Wie in meinem Bild, dachte sie. Ich werde ihm beim Essen von
meinem Bild erzählen. Heute habe ich es vergessen, weil wir uns
über soviel anderes unterhalten mußten, aber…
Der Donner grollte wieder, näher und lauter. Diesmal
erfüllte das Geräusch sie mit Unbehagen. Regen würde das
Picknick verderben, Regen würde das Picknick von Daughters and Sisters am Ettinger’s Pier ertränken, und Regen
würde vielleicht sogar dazu führen, daß das Konzert abgesagt werden mußte.
Keine Bange, Rosie, der Donner ist nur in dem Bild, und dies
alles ist ein Traum.
Aber wenn es ein Traum war, wieso konnte sie dann noch
das Kissen auf ihren Handgelenken und Unterarmen spüren? Wieso konnte sie ihre ineinander verschränkten Finger
und die leichte Decke auf ihrem Körper spüren? Wieso
konnte sie den Verkehr der Stadt draußen vor ihrem Fenster
hören?
Grillen sangen und summten: Zirp-zirp-zirp-zirp-zirp.
Das Baby weinte.
Plötzlich blitzte es purpurn hinter ihren Lidern auf, und
der Donner grollte wieder, näher denn je.
Rosie keuchte und setzte sich im Bett auf, das Herz schlug
ihr heftig in der Brust. Keine Blitze. Kein Donner. Zugegeben, sie bildete sich immer noch ein, daß sie Grillen hören
konnte, aber möglicherweise spielten ihr auch nur ihre
Ohren einen Streich. Sie sah durch das Zimmer zum Fenster
und erblickte das umrißhafte Rechteck, das darunter an der
Wand lehnte. Das Bild von Rose Madder. Morgen würde sie
es in eine Papiertüte stecken und mit zur Arbeit nehmen.
Rhoda oder Curt kannten vielleicht einen Laden in der Nähe,
wo sie es neu rahmen lassen konnte.
Trotzdem konnte sie immer noch leise die Grillen hören.
Im Park, dachte sie und legte sich wieder hin.
Obwohl das Fenster geschlossen ist? fragte Ms. Praktisch-Vernünftig. Sie hörte sich zweifelnd an, aber an sich nicht ängstlich. Bist du sicher, Rosie?
Auf jeden Fall. Immerhin war es fast Sommer, viel mehr
Grillen für den Dollar, verehrte Kundschaft, und was spielte
es überhaupt für eine Rolle? Na gut, vielleicht war etwas mit
dem Bild nicht geheuer.
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