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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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auf den Wellen schwankt. Sie beugte sich
ein wenig näher zu seinem Rücken, machte die Augen zu
und inhalierte tief. Der Geruch des von der Sonne gewärmten Leders war ziemlich genau so, wie sie ihn sich vorgestellt
hatte, und das war gut. Alles war gut. Beängstigend und gut.
»Ich hoffe, es gefällt dir«, sagte Bill. »Ich finde es toll.«
Er drückte einen Knopf am rechten Lenker, worauf die
Harley unter ihnen wie ein Gewehr losging. Rosie zuckte
zusammen und rutschte näher zu ihm; ihr Griff wurde fester
und nicht mehr ganz so zaghaft.
»Alles klar?« rief er.
Sie nickte, überlegte sich, daß er das nicht sehen konnte,
und rief zurück, daß alles klar sei.
Einen Augenblick später rollte der Bordstein links von
ihnen rückwärts. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter, auf den Verkehr, dann fuhr er über die Trenton Street zur
rechten Seite. Es war nicht wie das Wenden mit einem Auto;
das Motorrad kippte wie ein kleines Flugzeug, das beim Landeanflug die Richtung korrigiert. Bill gab Gas, worauf die
Harley vorwärts schoß, so daß Rosie der Wind in den Helm
blies und sie lachen mußte.
»Ich wußte, daß es dir gefallen würde!« rief Bill über die
Schulter, als sie an der Ampel an der Ecke hielten. Als er die
Füße neben das Motorrad stellte, war es, als wären sie wieder
mit festem Boden verbunden, aber nur mit der dünnsten
denkbaren Leitung. Als die Ampel grün wurde, heulte der
Motor wieder auf, diesmal nachdrücklicher, und sie bogen
auf die Deering Avenue ab, die parallel zum Bryant Park verlief, und rollten unter den Schatten alter Eichen dahin, die die
Straße wie Tintenkleckse überzogen. Sie schaute über seine
rechte Schulter und erblickte die Sonne, die ihnen den Weg
zwischen den Bäumen hindurch wies und ihr wie ein Spie geltelegraph in die Augen schien, und als er sich auf die Seite
legte und die Maschine in die Calumet Avenue lenkte, neigte
sie sich mit ihm.
Ich wußte, daß es dir gefallen würde, hatte er gesagt, als sie
losgefahren waren, aber es gefiel ihr nur, solange sie den
nördlichen Teil der Stadt durchquerten, eine Gegend mit
zunehmend vorstädtischem Charakter, deren Holzhäuser sie
an All in the Family denken ließen, wo es an jeder Ecke ein
Wee Nip zu geben schien. Als sie sich auf dem Skyway befanden, der zur Stadt hinausführte, gefiel es ihr nicht mehr nur,
sie liebte es, und als er vom Skyway auf die Route 27 wechselte, einer zweispurigen asphaltierten Straße, die am Seeufer entlang bis zum nächsten Bundesstaat führte, dachte sie,
daß sie glücklich und zufrieden für alle Zeiten weiterfahren
könnte. Wenn er sie gefragt hätte, was sie davon hielte, bis
nach Kanada zu fahren, um vielleicht ein Spiel der Blue Jays
in Toronto anzusehen, hätte sie ihm einfach den Kopf zwischen seine Schulterblätter auf die Lederjacke gelegt, da mit
er ihr Nicken spüren konnte.
Auf dem Highway 27 war es am besten. Im Sommer
würde selbst um diese Zeit, am frühen Morgen, dichter Verkehr herrschen, aber heute war er fast menschenleer, ein
schwarzes Band mit einem unterbrochenen gelben Streifen
in der Mitte. Rechts konnte man den strahlend blauen See
zwischen den Bäumen funkeln sehen; links passierten sie
Milchbetriebe, Blockhäuser für Touristen und Souvenirshops, die sich gerade für das Sommergeschäft rüsteten.
Sie sah keine Veranlassung, zu reden, war nicht sicher, ob
sie hätte reden können, wenn er sie angesprochen hätte. Er
beschleunigte die Harley nach und nach, bis die rote Tachonadel gerade nach oben zeigte, wie ein Uhrzeiger, der auf
zwölf steht, und der Wind heftiger in ihren Helm blies. Für
Rosie war es wie die Träume vom Fliegen, die sie als junges
Mädchen gehabt hatte; Träume, in denen sie furchtlos und
tollkühn über Felder und Felswände und Dächer und
Schornsteine hinweggefegt war, während ihre Haare wie
eine Flagge hinter ihr wehten. Aus diesen Träumen war sie
stets zitternd erwacht, schweißgebadet, erschrocken und
entzückt zugleich, und genauso fühlte sie sich jetzt auch.
Wenn sie nach links schaute, sah sie ihren Schatten dahinsausen, wie sie ihn in jenen Träumen gesehen hatte, aber nun
wurde er von einem zweiten Schatten begleitet, und das
machte es noch besser. Falls sie sich je in ihrem Leben glücklicher gefühlt hatte als in diesem Augenblick, wußte sie
nicht, wann das gewesen sein sollte. Die ganze Welt ringsum
schien perfekt zu sein, und sie schien perfekt dazu zu passen.
Sie spürte minimalste Temperaturschwankungen: kalt,
wenn sie

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