Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Erfolg.
»Beim erstenmal ist es immer schwer. Komm, ich helf
dir.«
Er beugte sich zu ihr, um den Gurt zu öffnen, wieder in
Kußreichweite, aber diesmal wich er nicht zurück. Er zog ihr
mit den Handflächen den Helm vom Kopf, dann gab er ihr
einen Kuß auf den Mund und ließ den Helm, den er am Gurt
hielt, an den ersten beiden Fingern der linken Hand baumeln, während er die rechte auf ihren verlängerten Rücken
preßte, und für Rosie brachte dieser Kuß alles in Ordnung;
sein Mund und der Druck seiner Handfläche waren, als
käme sie nach Hause. Sie spürte, wie sie zu weinen anfing,
aber das machte nichts. Diese Tränen taten nicht weh.
Er wich ein kleines Stück zurück, ohne die Hand von
ihrem Rücken zu nehmen, und sah ihr ins Gesicht, während
der Helm wie ein Pendel sanft gegen ihr Knie schlug. »Alles
klar?«
Ja, wollte sie sagen, aber ihre Stimme versagte ihr den
Dienst. Statt dessen nickte sie.
»Prima«, sagte er, und dann küßte er ihr ernst, wie ein
Mann, der eine wichtige Aufgabe erledigt, ihre kühlen, nassen Wangen von außen auf ihre Nase zu - zuerst unter dem
rechten Auge, dann unter dem linken. Seine Küsse waren so
sanft wie ein Wimpernschlag. Sie hatte in ihrem ganzen
Leben nichts Ahnliches gespürt, und plötzlich schlang sie die
Arme um ihn, drückte ihn fest an sich, preßte das Gesicht an
die Schulter seiner Jacke und kniff die immer noch tränenden
Augen fest zu. Er hielt sie und streichelte mit der Hand, die
auf ihrem Rücken gewesen war, ihren Zopf.
Nach einer Weile löste sie sich von ihm, rieb sich die
Augen mit den Armen und versuchte zu lächeln. »Ich weine
nicht immer«, sagte sie. »Das glaubst du mir wahrscheinlich
nicht, aber es stimmt.«
»Ich glaube es dir«, sagte er und nahm seinen Helm ab.
»Komm, hilf mir mit der Kühltasche.«
Sie half ihm die Elastikkordeln zu lösen, mit denen die
Tasche befestigt war, dann trugen sie sie zu einem der Picknicktische. Dort blieb sie stehen und sah zum Wasser hinunter. »Dies muß das schönste Fleckchen auf der ganzen Welt
sein«, sagte sie. »Ich kann nicht glauben, daß außer uns keiner hier ist.«
»Nun, der Highway 27 liegt etwas abseits des Tourismusbetriebs. Ich bin früher, als ich noch ein Kind war, mit meinen
Eltern hergekommen. Mein Dad hat gesagt, er hat es nur
durch Zufall gefunden, als er mit dem Motorrad unterwegs
war. Nicht mal im August sind viele Leute hier, wenn die
anderen Strande überfüllt sind.«
Sie warf ihm einen raschen Blick zu. »Bist du schon mit
anderen Frauen hier gewesen?«
»Nee«, sagte er. »Möchtest du gern einen Spaziergang
machen? Wir könnten uns Appetit fürs Essen holen, außerdem will ich dir was zeigen.«
»Was?«
»Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich’s dir zeige«, sagte
er.
»Gut.«
Er führte sie zum Wasser hinunter, wo sie sich nebeneinander auf einen großen Stein setzten und die Schuhe auszogen. Sie betrachtete amüsiert die weißen Frotteesocken, die
er unter den Motorradstiefeln trug; diese Art von Socken ließ
sie immer an die Junior High School denken.
»Mitnehmen oder hierlassen?« fragte sie und hielt die
Turnschuhe hoch.
Er dachte darüber nach. »Du nimmst deine mit, ich laß
meine hier. Die verflixten Stiefel sind sogar mit trockenen
Füßen fast unmöglich anzuziehen. Mit nassen Füßen kannst
du es vergessen.« Er zog die weißen Socken aus und legte sie
fein säuberlich über die klobigen Schuhspitzen. Die Art, wie
er es tat, und ihr blitzsauberes Aussehen brachten Rosie zum
Lächeln.
»Was ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts. Komm, zeig mir deine
Überraschung.«
Sie gingen am Ufer entlang nach Norden, Rosie mit den
Turnschuhen in der linken Hand, Bill voraus. Die erste
Berührung mit dem Wasser war so kalt, daß sie stöhnte, aber
nach einer oder zwei Minuten fühlte es sich gut an. Sie
konnte ihre Füße wie blasse Fische sehen, aufgrund der Brechung des Lichts ein wenig vom Rest ihres Körpers getrennt.
Der Grund war mit Kieselsteinen übersät, aber nicht so sehr,
daß es weh tat. Du könntest dir die Füße in Stücke schneiden und
würdest es nicht merken, dachte sie. Sie sind taub, Süße. Aber sie
schnitt sie sich nicht auf. Ihr kam es so vor, als würde er nicht zulassen, daß sie sich die Füße aufschnitt. Der Gedanke war
albern, aber überzeugend.
Nachdem sie rund vierzig Meter am Ufer entlanggegangen waren, kamen sie zu einem überwucherten Pfad, der
sich die Böschung hinaufschlängelte, körniger weißer Sand
zwischen niederen, zähen

Weitere Kostenlose Bücher