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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Schönen Tag noch.«
Er nickte. »Ebenso. Und dir auch einen schönen Tag, mein
Sohn.«
»Klar«, sagte das Kind gleichgültig und betrachtete Norman mit
feindseligen Augen über den kirschverschmierten Wangen. Norman verspürte einen Moment aufrichtige Panik, weil er den Eindruck hatte, daß der Junge direkt in ihn hinein sah und den Norman erkannte, der sich hinter Hump McDaniels’Kahlkopf und der
Lederjacke mit ihren unzähligen Reißverschlüssen versteckte. Er
sagte sich, daß er eine ganz gewöhnliche Paranoia verspürte, nicht
mehr und nicht weniger -, immerhin war er ein Eindringling am
Hof seiner Feinde, und das Gefühl unter diesen Umständen nichts
Ungewöhnliches -, aber er machte sich trotzdem rasch wieder auf
seinen Weg.
Er glaubte, er würde sich wieder besser fühlen, wenn er das Kind
mit den feindseligen Augen hinter sich gelassen hätte, aber das
stimmte nicht. Sein kurzer Anflug von Optimismus war einem
Gefühl der Unruhe gewichen. Das Mittagessen war nicht mehr
fern, in etwa fünfzehn Minuten würden die Leute Platz nehmen,
und immer noch war keine Spur von ihr zu sehen. Ein paar Frauen
waren unterwegs und führen Achterbahn, aber er hielt es für
unwahrscheinlich, daß sie dabei war. Rosie gehörte nicht zu den
Frauen, die auf den Putz hauten.
Nein, da hast du recht, zu denen hat sie nie gehört… aber
vielleicht hat sie sich geändert, flüsterte eine Stimme in seinem
Inneren. Sie wollte noch etwas sagen, aber Norman brachte sie brutal zum Schweigen, bevor sie auch nur ein Wort herausbekommen
konnte. Er wollte diesen Mist nicht hören, obwohl er wußte, daß
sich etwas in Rose verändert haben mußte, sonst wäre sie immer
noch zu Hause, würde jeden Mittwoch seine Hemden bügeln, und
dies alles wäre nicht passiert. Der Gedanke an Rose, die sich so sehr
verändert hatte, daß sie mit seiner BankCard das Haus verließ,
beschäftigte sein Denken auf eine nagende, bohrende Art, die er
kaum noch ertragen konnte. Wenn er nur daran dachte, überkam
ihn ein Gefühl von Panik, als würde ihm eine schwere Last auf der
Brust liegen.
Du mußt dich beherrschen, sagte er sich. Das mußt du.
Betrachte es als verdeckte Ermittlung, etwas, das du schon
tausendmal vorher gemacht hast. Wenn du es so sehen
kannst, wird alles gut. Ich will dir was sagen, Normie: Vergiß, daß du nach Rose suchst. Vergiß, daß es Rose ist, bis du
sie tatsächlich siehst.
Er versuchte es. Es half, daß alles ziemlich genauso lief, wie er es
geplant hatte; Hump McDaniels war als regulärer Teil des Umfelds
akzeptiert worden. Zwei Lesben, die die Ärmel ihrer T-Shirts abgeschnitten hatten, damit man ihre übertrainierten Arme sehen
konnte, bezogen ihn kurz in ihr Frisbeespiel ein, und eine ältere
Frau mit weißem Haar oben und wirklich häßlichen Krampfadern
unten brachte ihm ein Joghurteis, weil er, sagte sie, in diesem Stuhl
wirklich aussah, als wäre ihm heiß und unbequem. »Hump« dankte
ihr freundlich und gab zu, daß ihm tatsächlich ein wenig heiß sei. Aber du bist alles andere als heiß, Süße, dachte er, als die Frau
mit dem grauen Haar sich entfernte. Kein Wunder, daß du dich
mit diesen Lesbenschlampen herumtreibst - du würdest keinen Mann finden, wenn dein Leben davon abhängen würde. Aber das Joghurteis war gut - kalt -, und er schlang es gierig
runter.
Der Trick bestand darin, nie lange an einem Ort zu bleiben.
Er rollte vom Picknickgelände zum Hufeisenwerfen, wo zwei
unfähige Männer ein Doppel gegen zwei gleichermaßen
unfähige Frauen spielten. Norman hatte den Eindruck, als
könnte das Spiel sich bis Sonnenuntergang hinziehen. Er rollte
am Küchenzelt vorbei, wo die ersten Hamburger vom Grill
kamen und Kartoffelsalat in Servierschüsseln gefüllt wurde.
Schließlich rollte er zum Hauptgang und den Karussells, hielt
den Kopf gesenkt und betrachtete verstohlen die Frauen, die zu
den Picknicktischen unterwegs waren, manche mit
Kinderwagen, die sie vor sich her schoben, andere mit Preisen
unter dem Arm. Rose war nicht unter ihnen.
Sie schien nirgendwo zu sein.
7
    Norman war so sehr damit beschäftigt, nach Rose Ausschau
zu halten, daß er die schwarze Frau nicht bemerkte, der er
schon einmal aufgefallen war, und die ihn jetzt wieder ansah. Es war eine außerordentlich große Frau, die tatsächlich
eine gewisse Ähnlichkeit mit William »Kühlschrank« Perry
hatte.
    Gert war auf dem Spielplatz und schubste einen kleinen
Jungen auf der Schaukel an. Nun hielt sie inne und schüttelte
den Kopf, als

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