Das Bild
Norman dachte, daß er
das wahrscheinlich hinkriegte. Wenn sie in den Bus einstieg (und
sie würde mit dem Bus fahren; sie hatte kein Auto und würde sich
ganz bestimmt kein Taxi leisten), würde er sich direkt hinter sie setzen. Sollte sie ihn doch irgendwo zwischen dem Pier und der
Absteige, wo sie ihre Freier bediente, erkennen, würde er sie auf der
Stelle töten, egal, was dann passierte. Aber wenn alles gut lief,
konnte er direkt hinter ihr durch die Tür in ihre Wohnung gehen,
und auf der anderen Seite der Tür würde sie Qualen erleiden, wie
sie noch keine Frau auf dieser Welt erlitten hatte.
Norman rollte zu einem Häuschen mit der Aufschrift TAGESKARTEN, sah, daß der Eintrittspreis für Erwachsene zwölf Dollar
betrug, gab dem Mann in dem Häuschen das Geld und rollte in den
Park hinein. Der Weg war frei; es war früh, Ettinger’s noch nicht
überfüllt. Das hatte selbstverständlich auch seine Nachteile. Er
mußte sorgfältig darauf achten, daß er nicht die falsche Art von
Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Aber das konnte er. Er
»Kumpel! He, Kumpel! Kommen Sie noch mal her!«
Norman hielt sofort an, seine Hände erstarrten auf den Rädern
des Rollstuhls, und sah mit leeren Augen zum Geisterschiff und
dem gigantischen Roboter in der altmodischen Kapitänsuniform,
der davor stand. »Ahoi, und ab ins Grauen, Leute!« rief der Roboter-Schiffskapitän immer wieder mit seiner mechanisch dröhnenden Stimme. Nein, er wollte nicht die falsche Art von Aufmerksamkeit auf sich lenken … und schon hatte er genau das geschafft.
»He, Glatzkopf! Sie da im Rollstuhl!«
Leute drehten sich nach ihm um. Darunter auch eine fette
schwarze Schlampe in einem roten Trägerrock, die etwa halb so
schlau wie der Verkäufer mit der Hasenscharte im Base Camp aussah. Sie kam Norman vage vertraut vor, aber das tat er als reine
Paranoia ab - er kannte niemand in dieser Stadt. Sie drehte sich um
und ging weiter, wobei sie sich eine Handtasche, so groß wie ein
Aktenkoffer, unter den Arm klemmte, aber es glotzten ihn immer
noch eine Menge Leute an. Normans Schritt fühlte sich plötzlich
schweißnaß an.
»He, Mann, kommen Sie zurück! Sie haben mir zuviel gegeben!«
Einen Augenblick begriff er den Sinn dieser Worte gar nicht als wären sie in einer fremden Sprache gesprochen worden. Dann
verstand er sie, und ein gewaltiges Gefühl der Erleichterung - verbunden mit Ekel vor seiner eigenen Dummheit - kam über ihn.
Natürlich hatte er dem Kassierer zuviel gegeben. Er hatte vergessen, daß er kein Erwachsener war, sondern ein Behinderter.
Er machte kehrt und rollte zum Kartenhäuschen zurück. Der
Kerl, der sich herausbeugte, war fett und schien ebenso wütend auf
Norman zu sein, wie Norman auf sich selbst. Er hielt Norman
einen Fünfdollarschein hin. »Sieben Mücken für Behinderte, können Sie nicht lesen?« fragte er Norman und zeigte mit dem Geldschein zuerst auf das Schild über dem Kartenhäuschen, dann hielt
er ihn Norman vors Gesicht.
Norman stellte sich kurz vor, wie er dem Fettsack den Fünfer mit
einem glühenden Schürhaken in den Arsch bohrte, dann nahm er
ihn und steckte ihn in die Jackentasche. »Tschuldigung«, sagte er
unterwürfig.
»Ja, ja«, sagte der Mann in der Kabine und wandte sich ab.
Norman rollte mit klopfendem Herzen wieder in den Park hinein. Er hatte sorgfältig eine Figur konstruiert … einfache, aber
angemessene Pläne geschmiedet, um seine Ziele zu erreichen …
und dann hatte er gleich zu Beginn nicht nur etwas Dummes
gemacht, sondern etwas unglaublich Dummes. Was war mit
ihm
los?
Er wußte es nicht, aber von jetzt an würde er besser
aufpassen müssen.
»Das kann ich«, murmelte er bei sich. »Und wie ich das kann.«.
»Ahoi, und ab ins Grauen, Leute!« rief der Roboterseemann zu
ihm herunter, als Norman an ihm vorbeirollte. In einer Hand
schwenkte er eine Maiskolbenpfeife, so groß wie eine
Kloschüssel. »Ahoi, und ab ins Grauen, Leute! Ahoi, und ab
ins Grauen, Leute!«
»Wie Sie meinen, Capt’n«, murmelte Norman und rollte weiter.
Er kam an eine Kreuzung von drei Wegen, wo Pfeile zum Pier, zum
Hauptweg und zum Picknickgelände zeig ten. Unter dem Pfeil zum
Picknickgelände war ein kleines Schild befestigt, auf dem
stand:
FREUNDE VON DAUGHTERS & SISTERS, ESSEN AM
MITTAG, ESSEN UM SECHS, KONZERT UM ACHT.
VIEL SPASS!
Worauf ihr euch verlassen könnt, dachte Norman und rollte
mit seinem beklebten Rollstuhl den betonierten, von Blumenrabatten gesäumten Weg zum Picknickgelände entlang.
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