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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Tasche gesteckt hatte. Dabei
prallte sein Verstand wieder alt und hüpfte davon, und eine Zeitlang war gar nichts mehr da.
3
    Haie und Gustafson führten Rosie und Gert in eine Ecke des
Reviers, die fast Ähnlichkeit mit einem Konferenzzimmer
hatte; das Mobiliar war alt, aber einigermaßen bequem, und
es gab keine Schreibtische, hinter denen sich die Detectives
verschanzen konnten. Statt dessen ließen sie sich auf ein verblaßtes grünes Sofa fallen, das zwischen dem Getränkeautomaten und einem Tisch mit einer Bunn-O-Matic-Kaffeemaschine darauf. Statt eines grimmigen Plakats mit Drogensüchtigen oder Aids-Opfern hing ein Bild der Schweizer
Alpen über der Kaffeemaschine. Die Detectives waren ruhig
und verständnisvoll, das Verhör behutsam und respektvoll,
aber weder ihr Verhalten noch die zwanglose Umgebung
halfen Rosie nennenswert. Sie war immer noch zornig,
wütender als sie je in ihrem Leben gewesen war, aber sie
hatte auch schreckliche Angst. Allein schon weil sie hier war.
    Im Verlauf der Befragung verlor sie mehrmals fast völlig
die Kontrolle über ihre Emotionen, aber jedesmal, wenn das
passierte, sah sie durch den Raum, wo Bill auf der anderen
Seite des hüfthohen Geländers mit der Aufschrift ZUTRITT
NUR FÜR POLIZEIPERSONAL saß und geduldig wartete.
    Sie wußte, sie sollte aufstehen und zu ihm gehen und ihm
sagen, daß er nicht mehr warten mußte - er sollte einfach
nach Hause fahren und morgen anrufen. Aber sie brachte es
nicht fertig. Es war so wichtig für sie, daß er da saß, wie es
wichtig für sie gewesen war, daß er ihnen mit der Harley
folgte, als die Detectives sie hierher fuhren; sie brauchte ihn
wie ein Kind mit lebhafter Phantasie das Nachttischlämpchen braucht, wenn es mitten in der Nacht aufwacht.
    Das Problem war, sie kam auf verrückte Ideen. Sie wußte, daß sie verrückt waren, aber dieses Wissen half ihr nicht. Sie
verschwanden eine Weile, dann beantwortete sie die Fragen
der Cops und hatte keine verrückten Ideen, und dann
ertappte sie sich wieder, wie sie glaubte, daß sie Norman
unten im Keller hatten, daß sie ihn da unten versteckten, klar
doch, weil die Gesetzeshüter eine verschworene Gemeinschaft waren, Cops waren Brüder, und die Frauen von Cops
durften nicht weglaufen und ein eigenes Leben fuhren, was
auch passierte. Norman wartete wohlbehalten in einer winzigen Zelle unten im Keller, wo einen niemand hören konnte,
selbst wenn man schrie, so laut man konnte; einer Zelle mit
schwitzenden Betonwänden und einer nackten Glühbirne an
einem Kabel, und wenn diese sinnlose Scharade vorbei war,
würden sie sie zu ihm bringen. Sie würden sie zu Norman
bringen.
    Verrückt. Aber sie wußte nur wirklich, daß es verrückt war,
wenn sie aufschaute und Bill auf der anderen Seite des nie deren Geländers sah, wo er wartete, bis sie fertig war, damit
er sie auf dem Rücken seines stählernen Ponys nach Hause
bringen konnte.
    Sie gingen es immer wieder zusammen durch, manchmal
stellte Gustafson die Fragen, manchmal Haie, und auch
wenn Rosie nicht den Eindruck hatte, daß sie Guter
Cop/Böser Cop spielten, wünschte sie sich, sie würden mit
ihren endlosen Fragen und ihren endlosen Formularen aufhören und sie gehen lassen. Wenn sie hier rauskam, würde
das lähmende Hin und Her zwischen Wut und Angst ein
wenig nachlassen.
    »Erzählen Sie mir noch mal, wie es dazu kam, daß Sie das
Bild von Mr. Daniels in der Handtasche hatten, Ms. Kinshaw«, sagte Gustafson. Er hatte einen halb fertiggestellten
Bericht vor sich liegen und einen Bic in einer Hand. Er runzelte schrecklich die Stirn; Rosie fand, er sah wie ein Junge
aus, der eine Abschlußprüfung schreiben mußte, auf die er
sich nicht vorbereitet hatte.
    »Das hab ich Ihnen schon zweimal gesagt«, sagte Gert.
»Dies wird das letztemal sein«, sagte Haie leise.
Gert sah ihn an. »Großes Ehrenwort?«
Haie grinste - ein ausgesprochen einnehmendes Grinsen
und nickte. »Großes Ehrenwort.«
    Sie erzählte ihnen wieder, wie sie und Anna Norman Daniels nach einigem Zögern, mit dem Mord an Peter Slowik in
Verbindung gebracht und sich Normans Bild per Fax besorgt
hatten. Dann berichtete sie, wie ihr der Mann im Rollstuhl
aufgefallen war, als der Kartenverkäufer ihm nachgerufen
hatte. Rosie kannte die Geschichte, aber Gerts Tapferkeit
setzte sie dennoch in Erstaunen. Als Gert zu dem Zweikampf
mit Norman hinter der Toilette kam, den sie so nüchtern und
sachlich schilderte, als würde sie ihren Einkaufszettel verle sen, ergriff Rosie ihre

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