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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war geschlossen und verriegelt.
Er lief im kümmerlichen Licht der nebelverschleierten Straßenlaterne vor dem Fenster durch das Zimmer und schwenkte den
Kopf dabei von einer Seite auf die andere, so daß Ferdinands Hörner die Luft durchbohrten. Wo steckte sie? Das Miststück! Wohin,
in Gottes Namen, konnte sie verschwunden sein?
Er sah eine offene Tür auf der anderen Seite des Zimmers, und
den geschlossenen Deckel einer Toilette. Er rannte hin und sah ins
Bad. Nichts. Es sei denn
Er zog die Pistole und gab zwei Schüsse auf den Duschvorhang
ab, womit er ein Paar überraschte schwarze Augen in dem blumengemusterten Vinyl aufriß. Dann riß er den Vorhang an den Ringen
zurück. Die Wanne war leer. Die Kugeln hatten zwei blaue Porzellankacheln von der Wand gerissen; das war das ganze Ausmaß der
Schäden. Aber das war vielleicht gut so; er hatte sie ohnehin nicht
erschießen wollen.
Nein, aber wohin konnte sie gegangen sein?
Norman stürmte in das Zimmer zurück, ließ sich auf die Knie
nieder (verzog das Gesicht wegen der Schmerzen, spürte sie aber
nicht richtig) und schwenkte den Lauf der Waffe unter dem Bett.
Nichts. Frustriert schlug er mit der Faust auf den Boden.
Er ging auf das Fenster zu, obwohl er seinen Augen durchaus
trauen konnte, weil es außer dem Fenster keine Möglichkeit mehr
gab … hatte er jedenfalls geglaubt, bis er Licht - helles Licht, das
wie Mondschein aussah - aus einer Tür dringen sah, an der er bei
seinem überstürzten Eindringen einfach vorbeigetrampelt war.
Mondschein? Glaubst du wirklich, daß du das siehst?
Spinnst du, Normie? Ich weiß nicht, ob du dich erinnern
kannst, aber es ist neblig draußen, mein Junge. Neblig. Und
selbst wenn dies die Nacht des vollsten Vollmonds des Jahrhunderts wäre, das ist ein Schrank. Ein Wandschrank im
ersten Stock, um genau zu sein.
Vielleicht, aber Norman war zu der Überzeugung gelangt, daß
dieser nach Schweiß stinkende, pimmelgrapschende, schwanzlutschende Versager von einem Vater mit seinen fettigen Haaren nicht
automatisch alles wußte. Norman wußte, daß es nicht unbedingt
logisch war, wenn Mondlicht aus einem Wandschrank im ersten
Stock fiel… trotzdem sah er genau das.
Er ging mit der Pistole in der Hand langsam auf die Tür zu und
blieb im strahlenden Licht stehen. Er sah durch die Augenlöcher
der Maske (nur sah es jetzt auf unheimliche Weise wie ein Augenloch aus, durch das er mit beiden Augen sah) und starrte in den
Wandschrank.
Haken ragten aus den Brettern der Seitenwände des Schranks,
Kleiderbügel hingen an einer Stange in der Mitte, aber die Rückwand des Schranks war nicht mehr da. An ihrer Stelle befand sich
ein mit hohem Gras bewachsener Hang im Mondschein. Er konnte
sehen, wie Glühwürmchen unter den dunklen Bäumen willkürliche Lichtspuren zeichneten. Die Wolken am Himmel sahen aus wie
Lampen, wenn sie am Mond vorbeizogen, der nicht ganz voll war,
aber fast. Unten am Hügel lag eine Art Ruine. Für Norman sah sie
wie ein verfallenes altes Plantagenhaus oder eine verlassene Kirche
aus.
Ich bin vollkommen durchgedreht, dachte er. Entweder
das, oder sie hat mich irgendwie bewußtlos geschlagen, und
dies alles ist ein verrückter Traum.
Nein, das akzeptierte er nicht. Konnte er nicht akzeptieren.
»KOMM ZURÜCK, ROSE!« schrie er in den Schrank, der
genaugenommen gar kein Schrank mehr war. »KOMM ZURÜCK,
DU MISTSTÜCK!«
Nichts. Nur dieses unmögliche Panorama … und der winzige
Hauch einer Brise, die nach Gras und Blumen duftete und den
Beweis lieferte, daß es sich nicht um eine unheimlich realistische
optische Täuschung handelte.
Und noch etwas: Grillen zirpten.
»Du hast meine BankCard gestohlen, du Miststück«, sagte Norman mit leiser Stimme. Er streckte die Hand aus und hielt sich an
einem der Kleiderbügel fest, die an der Stange hingen, wodurch er
wie ein Straßenbahnfahrgast aussah, der sich an einer Halteschlaufe festhält. Vor ihm lag die seltsame Welt im Mondschein,
aber alle Angst, die er hätte verspüren können, wurde von Entrüstung erstickt. »Du hast sie gestohlen, und darüber will ich mit dir
reden. Aus … der… Nähe.«
Er trat in den Wandschrank, duckte sich unter der Stange durch
und stieß ein paar Kleiderbügel auf den Holzboden. Er blieb noch
einen Moment stehen, wo er war, und sah in die andere Welt hinüber, die vor ihm lag.
Dann ging er vorwärts.
Er hatte das Gefühl, als wäre er ein Stück nach unten gegangen,
wie manchmal in alten Häusern, wo die Böden der verschiedenen
Zimmer

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