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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht mehr alle dieselbe Höhe hatten, aber das war alles.
Ein Schritt, und er stand nicht mehr auf Dielen, nicht mehr in
einem Zimmer im ersten Stock; er stand in Gras, und die duftende
Brise wehte um ihn herum. Sie blies in das Augenloch (ja, jetzt war
es nur noch eines; er hatte keine Ahnung, wie das sein konnte, aber
nach dem Schritt, den er gerade gemacht hatte, kam es ihm nicht
allzu seltsam vor) und kühlte seine geschwollene, verschwitzte
Haut. Er griff nach der Maske und wollte sie für eine Weile abziehen, damit sein ganzes Gesicht in den Genuß der Brise kommen
konnte, aber die Maske bewegte sich nicht. Keinen Millimeter. Es
war, als wäre das Latex irgendwie mit seiner Haut verwachsen. Als
wäre el Toro ein Teil von ihm geworden.
IX
     
Ich vergelte
     
1
    Bill sah sich mit dem argwöhnischen Blick von jemand, der
seinen Augen nicht traut, auf dem Hügel im Mondlicht um.
Mit einer Hand griff er sich an den geschwollenen Hals und
rieb. Rosie konnte bereits die Blutergüsse sehen, die sich wie
Fächer entfalteten.
    Eine nächtliche Brise strich wie eine fürsorgliche Hand
über ihre Stirn. Sie war sanft und warm und duftete nach
Sommer. Keine neblige Feuchtigkeit lag darin, kein klammer
Geruch von dem großen See, der im Osten der Stadt lag.
»Rosie? Passiert das alles wirklich?«
    Bevor sie sich überlegen konnte, was sie auf diese Frage
antworten sollte, meldete sich eine drängende Stimme - die
sie gut kannte - zu Wort.
»Mädchen! Du, Mädchen!«
    Es war die Frau in Rot, aber jetzt trug sie ein anderes Kleid blau, dachte Rosie, obwohl man es im Mondschein unmöglich genau sagen konnte. »Wendy Yarrow« stand auf halber
Höhe des Hügels.
    »Bring ihn hier runter, Mädchen! Wir dürfen keine Zeit
verlieren! Der andere wird jeden Moment hier sein, und du
mußt noch Sachen erledigen! Wichtige Sachen!«
    Rosie hielt Bill immer noch am Arm. Sie versuchte, ihn mit
sich zu ziehen, aber er weigerte sich und sah erschrocken den
Hügel hinab zu »Wendy«. Hinter ihnen
- gedämpft, aber
immer noch schrecklich nahe
- brüllte Norman ihren
Namen. Bill zuckte zusammen, bewegte sich aber immer
noch nicht.
    »Wer ist das, Rosie? Wer ist diese Frau?«
»Unwichtig. Komm mit!«
Diesmal zog sie ihn nicht nur am Arm, sie riß ihn mit, von
    Panik erfüllt. Er folgte ihr, aber sie waren nur wenige Schritte
weit gekommen, als er zusammenklappte und so heftig
hustete, daß ihm die Augen aus den Höhlen quollen. Rosie
nutzte die Gelegenheit und zog den Reißverschluß der Jacke,
die er ihr geliehen hatte, nach unten. Sie zog die Jacke aus
und ließ sie ins Gras fallen. Der Pullover folgte. Die Bluse
darunter war ärmellos, und Rosie streifte den Armreif über.
Sofort verspürte sie eine Woge von Energie in sich aufsteigen, und in ihren Augen war die Frage, ob das tatsächlich so
war oder sie es sich nur einbildete, vollkommen nebensächlich. Sie warf einen hastigen Blick über die Schulter und rechnete fast damit, daß Norman auf sie zugestürmt kam, aber er
kam nicht, jedenfalls noch nicht. Sie sah nur den Pferdekarren, das kleine Pferd selbst, das frei herumlief und auf der
Wiese graste, und die Staffelei, die sie schon einmal gesehen
hatte. Das Bild hatte sich wieder verändert. Zunächst einmal
die Gestalt, die man von hinten sah, keine Frau mehr - sie sah
aus wie ein Dämon mit Hörnern. Es war ein Dämon, vermutete sie, aber es war auch ein Mann. Es war Norman, und sie
erinnerte sich, wie sie im hellen Blitz des Mündungsfeuers
die Hörner von seinem Kopf hatte abstehen sehen.
»Mädchen, warum bist du so langsam? Beweg dich!«
    Sie legte den linken Arm um Bill, dessen Hustenanfall
nachließ, und schleppte ihn halb zu der ungeduldig wartenden »Wendy«. Als Rosie dort ankam, trug sie ihn fast.
    »Wer … sind Sie?« fragte Bill die schwarze Frau, als sie
dort waren, und bekam prompt einen weiteren Hustenanfall.
»Wendy« achtete nicht auf die Frage, legte ebenfalls einen
Arm um ihn und stützte die Rosie abgewandte Seite. Als sie
sprach, wandte sie sich direkt an Rosie. »Ich habe ihren anderen Zat an der Seite des Tempels hingehängt, also ist das kein
Problem … aber wir müssen uns beeilen! Wir dürfen keine
Sekunde verlieren!«
»Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen«, sagte Rosie,
aber mit einem Teil ihres Verstands glaubte sie, daß sie es
vielleicht doch wußte. »Was ist ein Zat?«
»Vergiß jetzt deine Fragen«, sagte die schwarze Frau. »Wir
müssen schnell machen.«
Mit Bill zwischen sich gingen sie den

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