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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Pfandleihen finden konnte. Mehr nicht.
Draußen auf dem Flur warf sich Norman wieder gegen die
Tür. Das Krachen war lauter; ein langer Splitter brach aus
dem Holz und fiel auf den Boden. Noch ein paar Stöße würden genügen; möglicherweise reichten schon zwei oder drei.
Die Türen von Mietshäusern waren nicht dafür gebaut, den
Angriffen eines Wahnsinnigen standzuhalten.
»Es war mehr als nur ein verdammtes Bild!« schrie Rosie.
»Es stand für mich dort, und es war mehr als nur ein gottverdammtes Bild! Ich bin in eine andere Welt gegangen! Ich weiß
es, weil ich noch ihren Armreif habe!«
Sie drehte den Kopf, betrachtete ihn, lief zum Nachttisch
und hob ihn auf. Er fühle sich schwerer denn je an. Und heiß.
»Rosie«, sagte Bill. Sie konnte ihn gerade noch erkennen;
er hielt sich den Hals mit den Händen. Sie glaubte, daß er
Blut am Mund hatte. »Rosie, wir müssen die -« Dann schrie
er auf, als helles Licht in das Zimmer fiel… aber es war nicht
hell genug für den strahlenden Sommersonnenschein, mit
dem sie gerechnet hatte. Es war Mondschein, der aus dem
offenen Schrank drang und den Fußboden erhellte. Sie ging
mit dem Armreif in der Hand zu Bill und sah hinein. Wo die
Rückwand des Schranks gewesen war, sah sie die Hügelkuppe, sah Gras, das sich in einer sanften und wechselhaften
nächtlichen Brise wiegte, sah die fahlen Linien und Säulen
des Tempels im Dunkeln schimmern. Und über allem stand
der Mond, eine polierte Silbermünze an einem purpurschwarzen Himmel.
Sie mußte an die Fuchsmutter denken, die sie heute gesehen hatten, vor tausend Jahren, die ebenfalls zu so einem
Mond aufschaute. Die Füchsin, die zum Himmel sah,
während ihre Jungen im Windschatten des umgestürzten
Baumstamms schliefen; die mit ihren schwarzen Augen
gebannt den Mond betrachtete.
Bill sah bestürzt aus. Das Licht fiel auf seine Haut wie Silberbronze. »Rosie«, sagte er mit schwacher und besorgter
Stimme. Er bewegte weiter die Lippen, sagte aber nichts mehr.
Sie ergriff seinen Arm. »Komm mit, Bill. Wir müssen
gehen.«
»Was geht hier vor?« In seinem Schmerz und seiner Verwirrung war er bemitleidenswert. Sein Gesichtsausdruck
löste seltsame und widersprüchliche Empfindungen in ihr
aus: wilde Ungeduld wegen seiner langsamen, schwerfälligen Reaktionen, und heftige Liebe - nicht ganz mütterlich -,
die ihr Denken wie eine Flamme verzehrte. Sie würde ihn
beschützen. Ja. Ja. Sie würde ihn bis in den Tod beschützen,
sollte es erforderlich sein.
»Frag nicht, was hier vorgeht«, sagte sie. »Vertrau mir, wie
ich dir vertraut habe, als du Motorrad gefahren bist. Vertrau
mir und komm mit. Wir müssen sofort gehen!«
Sie zog ihn mit der rechten Hand weiter; der Armreif baumelte an ihrer linken wie ein Donut aus Gold. Einen Moment
leistete Bill Widerstand, dann schrie Norman wieder und
warf sich gegen die Tür. Mit einem Aufschrei der Angst und
Wut packte Rosie Bills Arm fester. Sie zog ihn in den Schrank
und dann in die Welt im Mondschein, die jetzt auf der anderen Seite lag.
    Von dem Augenblick an, als das Miststück den Kleiderständer vor
die Treppe warf, lief alles gefährlich in die falsche Richtung. Norman verhedderte sich irgendwie darin; zumindest der London Fog,
der ihm so gut gefiel. Einer der Messinghaken bohrte sich einfach
durch ein Knopfloch, tollste Nummer der Woche, und ein anderer
geriet in seine Tasche, wie ein vertrottelter Taschendieb, der nach
einer Brieftasche tastet. Ein dritter stieß seinen plumpen Messingfinger in Normans ohnehin schon übel zugerichtete Eier. Er brüllte,
verfluchte sie und versuchte, von dem Ding loszukommen. Der
tückische, hartnäckige Kleiderständer weigerte sich, ihn freizugeben, und es erwies sich als unmöglich, ihn einfach mitzuschleppen;
einer seiner gebogenen Füße schien sich irgendwie wie ein Enterhaken am Treppenpfosten verfangen zu haben, und hielt Norman
fest wie ein Anker.
    Er mußte da rauf, er mußte. Er wollte nicht, daß sie sich mit diesem Schwanzlutscher in ihr kleines Schlupfloch einschloß, bevor er
sie erwischte. Er zweifelte nicht daran, daß er die Tür aufbrechen
konnte, sollte es erforderlich sein, in all seinen Jahren als Cop hatte
er einen ganzen Haufen davon aufgebrochen, manche ziemlich zähe
alte Dinger, aber die Zeit wurde hier zu einem wichtigen Faktor. Er
wollte sie nicht erschießen, das wäre zu schnell und viel, viel zu
leicht für seine Rambling Rose, aber wenn es das Schicksal nicht
bald besser mit ihm meinte, blieb ihm vielleicht

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