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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Ich werde mich um alles kümmern.«
Doch er hatte nicht die Absicht, blindwütig über den Bach zu
stürmen und womöglich hineinzufallen. Etwas an dem Wasser
hatte Rose nicht gefallen, und er täte gut daran, vorsichtig zu sein;
buchstäblich darauf zu achten, wohin er trat. Vielleicht wimmelte
es in dem Bach von diesen kleinen südamerikanischen Fischen mit
den großen Zähnen, die eine Kuh an einem guten Tag bis auf die
Knochen abnagen konnten. Er wußte nicht, ob man von Wesen in
einer Halluzination getötet werden konnte, aber dies alles hier
schien von mal zu mal realistischer zu werden.
Sie hat mir ihren Arsch gezeigt, dachte er. Ihren nackten Arsch. Vielleicht hab ich auch was, das ich ihr zeigen kann.
Heißt es nicht, man soll Gleiches mit Gleichem vergelten?
Norman verzog die Lippen zu einer zähnefletschenden Grimasse, die ein Grinsen war, und setzte einen von Humps Stiefeln
auf den ersten weißen Stein. Dabei verschwand der Mond hinter
einer Wolke. Als er wieder zum Vorschein kam, hatte Norman den
schmalen Bach zur Hälfte überquert. Er sah auf das Wasser hinab,
zuerst nur neugierig, dann fasziniert und entsetzt. Das Mondlicht
drang ebenso wenig in das Wasser, wie es in einen Strom schwarzer
Tinte gedrungen wäre, aber das war es nicht, was ihm den Atem
verschlug und auf der Stelle verharren ließ. Er sah das Spiegelbild
des Mondes, aber in dem schwarzen Wasser war es nicht der Mond.
Es war ein ausgebleichter und grinsender Totenschädel.
Trink einen Schluck von diesem Zeug, sagte der Schädel auf
der Wasseroberfläche flüsternd. Teufel, nimm ein gottverdammtes Bad darin, wenn du willst. Vergiß den ganzen Quatsch.
Trink, und du wirst ihn vergessen. Trink, und nichts wird
dich je wieder quälen; nichts.
Das hörte sich so plausibel an, so richtig. Er sah nach oben, vielleicht um festzustellen, ob der Mond am Himmel soviel Ähnlichkeit
mit einem Schädel hatte wie der im Wasser, aber statt dessen sah er
Rose. Sie stand an der Stelle, wo der Weg in einem Hain toter
Bäume verschwand, neben der Statue eines Jungen mit erhobenen
Armen, dessen Schwengel vorne heraushing.
»So leicht kommst du mir nicht davon«, keuchte er. »Ich werde
nicht…«
Da bewegte sich der Junge aus Stein. Er ließ die Arme sinken
und packte Rose am rechten Handgelenk. Rose schrie und wehrte
sich verzweifelt gegen seinen beidhändigen Griff. Der Junge aus
Stein grinste, dann streckte er vor Normans Augen die Marmorzunge heraus und bewegte sie anzüglich vor Rose.
»Guter Junge«, flüsterte Norman. »Halt sie fest - halt sie nur
fest.«
Er sprang ans andere Ufer und lief mit ausgestreckten Händen
auf seine untreue Frau zu.
5
    »Willst du es von hinten besorgt haben?« wollte der Junge
aus Stein mit einer krächzenden, teilnahmslosen Stimme
wissen. Die Hände, die ihr Handgelenk umklammert hielten, bestanden nur aus Kanten und unerbittlich pressendem
Gewicht. Sie drehte sich um und sah Norman ans Ufer springen; die Stiermaske, die er trug, durchbohrte mit ihren Hörnern die Luft. Er stolperte auf dem nassen Gras, fiel aber
nicht. Zum erstenmal, seit ihr klar geworden war, daß er es
war, der in dem Polizeiauto saß, verspürte sie so etwas wie
Panik. Er würde sie erwischen, und dann? Er würde sie mit
den Zähnen in Stücke reißen, und sie würde schreiend
sterben, mit dem Duft von English Leather in der Nase. Er
würde
    »Willst du es von hinten!« spie der Junge aus Stein förmlich aus. »Willst du runter, Rosie, ‘n kleinen Ritt, auf allen Vieren, auf dem B -«
    »Nein!« kreischte sie, und ihre Wut loderte wieder auf und
legte sich wie ein roter Vorhang über ihr Denken. »Nein, laß
mich in Ruhe, hör auf mit diesem High-School-Quatsch und laß
mich in RUHE!«
    Sie holte mit der linken Hand aus, ohne darüber nachzudenken, wie weh es tun würde, einer Marmorstatue mit der
Faust ins Gesicht zu schlagen … aber tatsächlich tat es gar
nicht weh. Es war, als würde sie etwas Schwammiges und
Verfaultes mit einem Rammbock treffen. Sie sah nur ganz
kurz einen neuen Gesichtsausdruck
- Staunen verdrängte
Geilheit -, und dann zerbarst das Gesicht des Dings in
hundert teigfarbige Fetzen. Der unerbittliche Druck seiner
Hände um ihr Handgelenk ließ nach, aber nun war Norman
da, Norman war fast bei ihr, hatte den Kopf gesenkt, die
Hände ausgestreckt und atmete schnaubend durch die
Maske.
    Rosie drehte sich um, spürte die Finger seiner ausgestreckten Hand, die über den Träger des Zat glitten, und rannte, so
schnell sie

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