Das Bildnis der Novizin
demütig auf dem Boden kniete. »Bitte hilf, dass das Kind noch nicht kommt, bitte. Noch nicht.«
Sie fühlte eine neue Wehe heranrollen und schwor sich, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Kind bis Ende Juni bei sich zu behalten, damit Fra Filippo mit gutem Recht die Vaterschaft annehmen konnte.
Nach diesem Tag bewegte sich Lucrezia nur noch wenig. Meist saß sie, die Füße auf einen Schemel gelegt, ein warmes Tuch um die Schultern, vor dem Fenster, das Gesicht der Sonne zugewandt, wenn diese am Spätnachmittag hereinschien.
Es war Frühling geworden; der Knoblauchgeruch von Bärlauch, der an den Wegrändern in und um Prato wucherte, hing in der Luft. Neugeborene Kälber und Lämmer blökten, und es roch nach frisch umgegrabener Erde. In den kleinen Gärtchen hinter den Häusern wurde eifrig gepflanzt und gejätet.
Lucrezia saß in ihrem Stuhl am Fenster und stickte, schaute der Sonne bei ihrer Wanderung übers Firmament zu. Sie hatte nichts zu tun, außer zu nähen und zu warten. Aber das, worauf sie wartete – das Kind, die Antwort aus Rom, ein liebevoller Brief von Spinetta -, ließ sich nicht erzwingen. Sie saß in ihrem Stuhl, als Ser Francesco Ende Mai eintraf, um zu sehen, wie weit der Maler mit dem Altarbild gekommen war, und sie saß in ihrem Stuhl und stickte an einem Kissen, als er Anfang Juli, zum Namensfest des heiligen Thomas, erneut erschien.
Es war ein schrecklich heißer Tag, und Lucrezia wurde prompt übel, als ihr der Geruch von Ser Francescos Pferd in die Nase stieg. Sie hörte, wie er abstieg, hörte das Klirren des Geschirrs, als er das Pferd anband, hörte ihn mit schweren Stiefeltritten näherkommen. Er klopfte kurz, rief einen Gruß und kam sofort herein.
Ser Francesco verbeugte sich vor Lucrezia. Sein Blick schweifte durch die Werkstatt, über die kostbaren Seidenstoffe, die überall herumlagen.
»Bruder.« Der Emissär nickte und blieb vor einer Skizze stehen, die der Maler für den Rahmen des Altarbilds gemacht hatte.
»Ser Francesco.« Der Maler begrüßte den Emissär voller Unbehagen. Cantansantis Besuche setzten ihn noch mehr unter Druck, als er ohnehin war. Er nahm einen kräftigen Schluck aus dem Weinkrug und blickte den Emissär an, in der Hand einen Pinsel, von dem Goldfarbe für die schimmernde Krone Marias tropfte.
»Ihr arbeitet doch nicht etwa noch immer am Heiligenschein?«, fragte Cantansanti entrüstet und sah zu, wie sich der Maler umwandte und die Farbe mit kleinen Tupfern behutsam aufbrachte. »Der war doch schon letzte Woche fertig, Filippo. Warum haltet Ihr Euch mit solchen Details auf, wo noch so viel getan werden muss?«
»Das ist nicht so einfach, wie es aussieht!«, fauchte der Maler, riss sich jedoch gleich wieder zusammen. »Ich muss mehrere Schichten auftragen, wenn es wie echtes Gold funkeln soll. Das Bild ist für einen König, dafür muss man sich Zeit nehmen.«
Er wischte sich mit dem Handrücken die Stirn ab. Unter den Achseln seiner Kutte hatten sich große Schweißflecken gebildet. Er musste an das Altarbild für die Bankiersgilde denken. Ser Francescos Inspektionen hatten dazu geführt, dass er sich diesem zusätzlichen Auftrag kaum widmen konnte. Und die Gilde hatte ihm noch zweimal eine Warnung zukommen lassen, wollte das Altarbild sehen – oder zumindest das, was er bis jetzt geschafft hatte. Die Antwort darauf war: so gut wie nichts. Er würde wie ein Derwisch malen müssen, wollte er ihren Zorn nicht zu spüren bekommen.
Die Sommersonnenwende kam und ging. Das Fest zu Ehren Maria Magdalenas war schon in zwei Tagen. Der Mönch stand noch vor Sonnenaufgang auf. Schon jetzt war die Hitze unerträglich. Die hochschwangere Lucrezia war in Schweiß gebadet. Er stellte ihr einen mit Honig gesüßten Becher Wasser und ein Stück Käse ans Bett. Dann gab er ihr einen Kuss auf die feuchte Stirn.
»Ich muss in die Kapelle«, sagte er leise. »Wenn Ser Francesco kommt, sag ihm, er kann mich im Dom finden. Das Medicibild nehme ich mit, damit ich es beim Arbeiten studieren kann.«
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass der Heiligenschein der Madonna auch wirklich trocken war, wickelte er die drei Pappelbretter behutsam in weiche Tücher und legte sie auf seinen Handkarren. Er nahm auch die drei großen Pappelbretter für das Altarbild der Bankiersgilde mit. Jedes dieser Bretter war mannshoch, und das Mittelpaneel überstieg in der Breite gar die Spannweite seiner Arme. Eigentlich nahm Fra Filippo das Medicibild nur deshalb mit,
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