Das Bildnis der Novizin
Apotheke. Er nahm eine Abkürzung durch eine Gasse hinter dem Schusterladen. Die Augen zu Boden gerichtet, in Gedanken ganz mit dem schmerzhaften Pochen seines Schädels beschäftigt, merkte der Maler erst im letzten Moment, dass zwei Gestalten neben ihm auftauchten. Er blickte nach rechts und nach links. Die beiden vertraten ihm den Weg.
»Guten Morgen, Bruder.«
»Guten Morgen«, nickte er. Er beachtete sie kaum, wollte weitergehen, doch die beiden Kerle versperrten ihm den Weg.
»Wir kommen von der Bankiersgilde«, sagte einer. Fra Filippo schaute erst den einen, dann den anderen an. Einer war eher klein, mit einem stoppeligen Gesicht. Auf einer Wange zeichnete sich, von den Bartstoppeln nur unzureichend verdeckt, eine scharfe rote Narbe ab. Der andere war groß und bullig, mit Armen so dick wie die Beine eines Pferdes.
»Was ist?«, fragte der Maler gereizt.
Der Kleine grinste. Der andere rührte sich nicht. Fra Filippo spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.
»Unser Herr möchte sehen, wie weit Ihr mit dem Altarbild gekommen seid«, erklärte der Kleine.
Fra Filippos Schädel hämmerte.
»Wie Ihr seht, habe ich es nicht bei mir!«, sagte er gereizt. »Es ist in meiner Werkstatt.«
»Dann bring uns dorthin«, verlangte der Große. »Zeig es uns.«
Der Maler versuchte sich an den beiden schwarz gekleideten Männern vorbeizuschieben, doch der Größere trat in die Mitte der Gasse und breitete die bisher verschränkten Arme aus. Es war deutlich zu sehen, dass der Mann stark wie ein Ochse, aber ganz sicher nicht so friedlich war.
»Bei uns gibt’s keine Almosen. Das Bild ist kurz nach der Sommersonnenwende fällig. Die Gilde will sehen, wie weit Ihr inzwischen gekommen seid.«
»Wenn die Gilde sehen will, wie weit ich bin, dann sagt ihnen, dass sie wie zivilisierte Menschen in meine Werkstatt kommen sollen.«
»Wir wissen, woran du gearbeitet hast.« Der Mann spuckte knapp neben Fra Filippos Füßen aus. »Wenn du etwas hast, dann zeig es uns jetzt, und wir werden der Gilde berichten.«
Erschüttert wich der Mönch einen Schritt zurück und stieß gegen eine Wand. Die beiden Männer in Schwarz traten auseinander und ließen einen dritten, rot gekleideten, durch. Fra Filippo lief ein Schauder über den Rücken. Er hatte den Mann schon irgendwo gesehen.
»Es macht mir nichts aus, Euch zu Eurem Haus zu begleiten und mich davon zu überzeugen, wie weit Ihr gekommen seid.« Der Mann sprach weit freundlicher und höflicher als die beiden Schläger. Fra Filippo glaubte einen norditalienischen Akzent herauszuhören, Mailand vielleicht. »Wäre jetzt gleich genehm?«
Fra Filippo schaute sich verzweifelt um. Fieberhaft überlegte er, ob er in seiner Hütte ein paar Entwürfe hatte, die er als Skizzen fürs Altarbild ausgeben könnte. Aber da war nichts.
»Das habe ich mir schon gedacht, Bruder«, sagte der kleine Mann. Fra Filippo wusste jetzt, wo er ihn schon einmal gesehen hatte: in dem Büro im Gildenhaus, an dem Tag, als er den Vertrag unterzeichnete. »Wir sind vielleicht keine Kunstkenner, aber unser Geld ist so gut wie das jedes anderen und Ihr habt unsere zwanzig Florin.«
Fra Filippo schwieg.
»Entweder Ihr liefert das Altarbild pünktlich ab, oder Ihr gebt uns das Geld jetzt gleich zurück, so lange noch Zeit ist, jemand anderen zu verpflichten. Euren Freund Fra Diamante vielleicht.«
»Wagt es nicht, mir zu drohen!«, explodierte der Maler. »Ich stehe unter dem Schutz des ehrenwerten Cosimo de Medici!«
»Nicht hier in Prato«, entgegnete der andere unerschüttert. Er gab Fra Filippo einen Stoß an die Schulter. Seine Hand war viel größer, als der Maler vermutet hatte. »Wir verstehen uns, ja, Bruder Lippi?«
Der Mönch biss die Zähne zusammen. Sein Kopf fühlte sich an, als wolle er jeden Moment zerplatzen.
»Oder soll ich vielleicht morgen bei Euch vorbeischauen und ein paar Sachen mitnehmen, um sicherzugehen, dass Ihr uns liefert, was uns zusteht?«
»Wagt es ja nicht!« Der Maler ballte die Fäuste. »Haltet Euch von meinem Haus fern!«
»Dann solltet Ihr uns besser nicht reizen«, warnte der Mann, trat beiseite und ließ demonstrativ noch einmal den Hünen vortreten. »Wir sind nicht für unsere Geduld bekannt.«
23. Kapitel
In der sechsten Woche nach Ostern, im Jahre des Herrn 1457
L ucrezia nähte gerade einen kleinen Ärmel für ein Kindergewand zusammen, als der Schmerz wie ein Axthieb durch ihren Körper fuhr. Ihre Knie gaben nach und sie schrie auf. Aber niemand
Weitere Kostenlose Bücher