Das Bildnis der Novizin
Bankiersgilde. Um damit schneller voranzukommen, hatte er beschlossen, ein paar Figuren aus seinen Freskoskizzen zu übernehmen: den Körper eines Rabbis als Matthäus, der zu Füßen der stillenden Madonna kniet, und zwei andere für die Einzelfiguren auf den Seitenpaneelen. Das war eine durchaus gängige Praxis, und die Männer der Gilde würden nichts davon merken.
In Gedanken mit Matthäus und Hieronymus beschäftigt, spürte er einen Lufthauch und sah aus den Augenwinkeln eine rote Robe neben sich auftauchen. Er riss den Kopf hoch und blickte in das ernste, graue Gesicht von Propst Inghirami.
»Lange her«, sagte dieser kühl.
Fra Filippo nickte steif und schob die Skizze, mit der er sich gerade beschäftigt hatte, diskret unter einen Stapel. Er hatte den Propst seit Wochen nicht gesehen. Er musterte ihn forschend. War er der Mann in Rot, der ihn seit einiger Zeit verfolgte?
»Woran arbeitet Ihr, Bruder?«
Filippo schob Silberstifte und Pergamente beiseite und suchte das Blatt mit Inghiramis Porträt heraus. Als er es vorzeigte, wurde ihm klar, dass er dem Mann ein wenig zu sehr geschmeichelt hatte. Auf dem Bild sah Inghirami elegant und vital aus.
Der Propst nickte. Seine Augen verengten sich.
»Es ist gut«, sagte er. »Der Stadtrat hat es ebenfalls gebilligt. Aber wie ich höre, habt Ihr noch einen weiteren Auftrag angenommen, Bruder.« Der Propst musterte das Durcheinander auf dem Arbeitstisch. »Vergesst nicht, dass Ihr dem Dom verpflichtet seid.«
»Wie könnte ich das vergessen?«, sagte Fra Filippo. Der Atem des Propsts roch nach den Sardinen, die er zu Mittag gegessen hatte. »Ihr scheint mich ja immerzu im Auge zu haben, um mich daran zu erinnern.«
Der Propst straffte sich beleidigt. Er warf einen Blick am Maler vorbei zu den Helfern auf dem Gerüst. Sie waren außer Hörweite.
»Mir gefällt Euer Ton nicht, Bruder«, zischte Inghirami wütend. »Vergesst nicht, dass ich es bin, der dem Stadtrat Bericht erstattet. Es wäre unklug, Eure Verpflichtungen der Kirche gegenüber wegen der Bankiersgilde zu vernachlässigen!«
Der Propst verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und verschwand mit flatternder roter Robe. Er hatte die Kapelle kaum verlassen, als Fra Filippo eine Hand auf seiner Schulter spürte und erschrocken herumfuhr. Vor ihm stand sein Freund, Fra Piero.
»Du hast mich erschreckt, Piero«, sagte er und versuchte das Zittern seiner Hände zu verbergen. Aber der Prokurator kannte ihn gut und zog ihn in eine Nische im Hauptschiff der Kirche, wo frische Luft von den offenen Türflügeln hereinkam.
»Was ist los, Filippo? Du siehst schrecklich aus!«
Der Maler schüttelte den Kopf und rang sich ein Lächeln ab.
»Mein Freund, du weißt, wie ich bin, wenn ich mir Gedanken wegen meiner Arbeit mache.« Er reckte den Hals, spähte in alle Richtungen, vor allem aber zur Hauptkapelle. Fra Piero folgte seinem Blick.
»Irgendetwas lässt dir keine Ruhe«, sagte der Prokurator. Sie standen neben der Statue der heiligen Elisabeth, zu deren Füßen zahlreiche Votivkerzen flackerten. »Was ist los?«
Fra Filippo wollte schon antworten, da sah er erneut etwas Rotes aufblitzen und reckte den Hals. Die Bewegung war aus dem schmalen Gang gekommen, der zu der Treppe zur Krypta führte. Eine hochgewachsene Gestalt schlüpfte flink durch die Tür und zog sie hinter sich zu.
»Inghirami?«, fragte der Prokurator.
Fra Filippo zögerte. »Mir scheint, ich sehe zurzeit überall rote Roben.«
»Was meinst du damit?«
Zögernd erzählte ihm der Maler vom Ostersonntag, von der Gestalt am Fenster, von dem Mann in Rot, der ihn überallhin zu verfolgen schien
»Der Propst ist weder jung noch beweglich genug«, widersprach Fra Piero. Dabei fragte er sich unwillkürlich, ob sein Freund sich das alles vielleicht aufgrund seiner Überlastung nur einbildete. »Wahrscheinlich nichts weiter als ein Gaffer, Filippo. Ich würde mir keine Gedanken mehr darüber machen.«
Den Blick noch immer auf die Tür zur Krypta gerichtet, hob der Maler die Hand und rieb sich müde die Schläfen.
»Mir platzt der Schädel«, sagte er.
»Du solltest dich ausruhen. Geh nach Hause, schau nach Lucrezia.«
»Ja, ja, das mache ich«, stimmte Fra Filippo zu. »Aber vorher muss ich zur Apotheke und mir etwas gegen diese Kopfschmerzen besorgen.« Er blinzelte, sah schwarze Flecken vor den Augen. »Ich werde später wieder herkommen müssen, aber eine Stunde Ruhe wird mir gut tun.«
Der Maler machte sich auf den Weg zur
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